That’s it. That’s the cinema. That’s film!

Anm. d. Verf.: Dieser Text enthält Spoiler.
Der erste gesprochene Satz aus Srpski film könnte treffender nicht sein. “Baby, I’m gonna fuck you up“, verspricht Hauptfigur Miloš (Srđjan Todorović) in einem Film im Film seinem Gegenüber und zugleich dem Publikum. Ohne Frage ist Srpski film, das Debüt des serbischen Regisseurs Srđan Spasojević, ein kontroverser Film. Ein Film, der „viel und heftig diskutiert“ wurde [1]. Seinem Status als Skandalfilm wird er damit gerecht, ist er doch für viele, die allein von seinem Inhalt gehört haben, „ein Aufsehen erregendes Ärgernis“ [2]. Spasojević präsentiert uns einen Avantgardefilm über einen Avantgardefilm. “Not pornography, but life itself“, heißt es in Srpski film fast als Selbstbeschreibung.

Zu sehen kriegt das allerdings kaum jemand. In Ländern wie Norwegen ist der Skandalstreifen verboten, in Deutschland und Großbritannien mal mehr (16 Minuten) und mal weniger (4 Minuten) geschnitten. Aus Gründen, die sich inzwischen in allen Internetforen finden: In Srpski film werden Neugeborene vergewaltigt, Frauen zu Tode gefickt und Inzest getrieben. Jedem normalen Bürger dürfte es allein bei dieser knappen Beschreibung wie Miloš entfahren: “ I can see that you’re insane, I need no proof for that“. Das Lexikon definiert einen Skandal als Wissen, „worüber sich eine Gesellschaft empört“, weshalb sich an ihm ablesen lässt, „wo und wie die überschrittenen Grenzen liegen“ [3].

Das Etikett „Skandalfilm“ ist infolgedessen ein oft fälschlicherweise negativ Behaftetes. Skandalös ist immer etwas, dass in der Gesellschaft als unmoralisch erscheint. Wenn die christliche Erlöserfigur in Nikos Kazantzakis’ The Last Temptation of Christ die Liebe zu Maria Magdalena dem Märtyrertod vorzieht oder ihre Passion in Mel Gibsons The Passion of the Christ zum torture porn übersteigert wird, ist das für uns anstößig. Es ziemt sich nicht. Aus demselben Grund wurde Falco 1985 bei der Veröffentlichung von Jeanny vorgeworfen, Vergewaltigung zu verharmlosen. Doch Tabus sind da, um gebrochen zu werden. “Cuz we need a little controversy“, besang Eminem im Jahr 2002 in Without Me.

„Ist das nicht irgendwie verboten?
Wird man dafür nicht bestraft?
Was ist das bloß für eine Welt in der man solche Sachen darf?
Dürfen die das?“
(Die Ärzte, Meine Freunde, 1998)

Durch das gefährliche Halbwissen, das Spasojevićs Film vorausgeht, wird dieser bereits abgeurteilt, ehe sich selbst ein Bild über seinen Inhalt machen lässt. Die Internetseite Schnittberichte „verspricht“ einen Film, „der niemanden kalt lassen wird“ [4]. Und nicht nur das, es werden Gefühle assoziiert, die sich durch die Sichtung beim Zuschauer einstellen sollen: „sei es nun Schock, Ekel oder Fassungslosigkeit“ [5]. Was dazu führt, dass Menschen von Srpski film denken, „er sei sehr viel härter als er tatsächlich ist“ [6]. Wie hart Spasojevićs Debütwerk ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Denn die Wahrheit ist: Srpski film ist letztlich nur so hart, so krank, so pervers, wie man dem Film zugesteht zu sein.

An sich ist Srpski film eine herzhafte Komödie und dies sicherlich teils kalkuliert. Die oft übersaturierten Bilder von Spasojevićs Red One Kamera erwecken dank der gesprochenen Dialoge die Atmosphäre eines Kabel-1-Softpornos. So werden Vater-Sohn-Gespräche über die sich anbahnende Pubertät oder Nebenbemerkungen über Animal Porn schnell der Lächerlichkeit preisgegeben. Und in der Tat gibt sich Srpski film, einer der kontroversesten Filme aller Zeiten, in seinen ersten beiden Akten ganz und gar handzahm. Absurderweise ist man enttäuscht. Wo ist die Gewalt? Wo ist der Skandal? Was Spasojevićs Film in seiner ersten Stunde auslöst, ist nicht so sehr Ekel, wie Trashbedingtes Amüsement.

Srđjan Todorović gibt Miloš, einen ehemaligen Porno-Darsteller, bekannt als “The Filthy Stud“. Der Branche kehrte er den Rücken zu, der Lebenspartnerin Marija (Jelena Gavrilović), sowie dem gemeinsamen Sohn zuliebe. Wie Miloš inzwischen sein Geld verdient, ist unklar. Viel ist es nicht und wird in leeren VHS-Hüllen seiner Pornos versteckt. Die sind in der Familienwohnung ebenso omnipräsent wie Miloš’ Flasche Jack Daniels. Egal ob Wohn- oder Schlafzimmer, weder der Whiskey noch ein Porno des Filthy Stud lassen lange auf sich warten. Nicht gerade das dolce vita, weshalb Miloš auch durch die Bestärkung von Marija schließlich dem unmoralischen Angebot von Ex-Kollegin Lejla (Katarina Žutić) erliegt.

Diese fungiert als Mittelsfrau für den mysteriösen Filmproduzent Vukmir (Sergej Trifunović), ehemaliger Kinderpsychologe und Regierungsangestellter. Er bietet Miloš viel Geld, wenn dieser sich drei Tage lang als Darsteller zur Verfügung stellt. Per Mikrofon erhält er grobe Kommandos in leerstehenden Waisenhäusern, wo Mädchen und Frauen geschlagen werden und er Blowjobs erhält. Nach zwei Tagen wird es dem Filthy Stud zu schmutzig. Die Unkenntnis des Drehbuchs löst bei ihm Unbehagen und bei Vukmir Erheiterung aus (“You’re a porn actor who wants to know what a porn film is about? It’s a bit absurd“). Doch Miloš’ geplanter Ausstieg kommt zu spät und der eigentliche Film beginnt an diesem Punk.

Wo die ersten Akte trashige Unterhaltung darstellen, avanciert der dritte Akt zur eigentlich den Skandal auslösenden tour de force. Vukmir zeigt Miloš einen seiner „Filme“: Einer von Vukmirs Angestellten bringt ein Kind zur Welt, welches er danach, zum Wohlgefallen der Mutter, vergewaltigt. So zumindest suggerieren es Spasojevićs Bilder, die – und das gilt auch weitestgehend für den restlichen Film – auf eine grafische Darstellung der Gewalt- und Sexakte verzichten. Nicht einmal Vaginalaufnahmen in Miloš’ Pornos gibt es zu entdecken, stattdessen deutet der Serbe die meisten Gräueltaten lediglich an. „Es ist nur in deinem Kopf“ ist ein treffendes Motto für viele dramatische und skandalöse Szenen des Films [7].

Und dennoch, trotz all dem Blut, das nach einer Stunde in Srpski film fließt, verliert der Film doch nie seine subversive humoristische Note. Die Gewalt ist so überzeichnet, so Splatter-haft inszeniert, dass es schwer fällt, in all diese übersteigerte Fiktion irgendwelche realen Moralansprüche hineintragen zu wollen. Betreibt Miloš bei einem Opfer Nekrophilie, nachdem er ihr während des Sexualaktes den Kopf mit einer Machete abgetrennt hat, wird das Szenario durch die freudig-zufriedenen Blicke von Vukmir und seinen Kameramännern kontrastiert. Gerade in dieser Szene erreicht Spasojevićs Mise en abyme ihre Klimax, hält er seinem Publikum doch speziell hier den moralischen Spiegel vor.

In fast schon haneke’scher Lesart könnte man sagen, dass Vukmir seinen Film letztlich im Auftrag der Zuschauer von Srpski film inszeniert. Vukmirs lüsterner Blick und seine Gewaltpräparationen repräsentieren am Ende das Publikum, das sich im Laufe des letzten Jahrzehnts verstärkt dem torture porn zugewandt hat (viel genannte Beispiele sind Filme wie Hostel, Á l'intérieur oder Martyrs). Wenn Miloš folglich verstört in die aufgestellten Kameras blickt, blickt er im Grunde nicht nur Vukmir und Co., sondern in letzter Konsequenz auch Spasojević und das Publikum von Srpski film an. Zugleich versucht der Regisseur jedoch auch fraglos, einen sozio-politischen Kommentar zu Serbien abzugeben.

Nach zwei Identitätsumbrüchen – zuletzt Serbien und Montenegro, davor Jugoslawien – in Folge des Kosovokrieges, stellt Serbien für Spasojević ein Land am Abgrund dar. Speziell der Dialog vor der Kindesvergewaltigung macht dies überdeutlich. “The whole fucking country is one big shitty kindergarten”, erklärt Vukmir. “A bunch of kids discarded by their parents.” Die Elternrolle erfüllt hier Vater Staat, der seine Kinder ebenso im Stich ließ, wie es die Mutter in Vukmirs Kinderporno tut. Die bildhafte Lesart eines von Geburt – hier sprichwörtlich – gefickten Serb(i)en. “We are a victim”, sagt Vukmir. “This whole nation is a victim.” Und weiter: “Victim sells (…) victim is the priciest sell in this world”.

Es zeigt sich, dass Srpski film weitaus bemühter ist, intelligent zu sein, als manch anderer Skandalfilm. Das Motiv des Kindesverführers zieht sich durch Spasojevićs gesamtes Debüt. Von Miloš’ Sohn, dessen Sexualtrieb durch die Sichtung eines Pornos des Vaters ausgelöst wird, bis hin zur Neugeborenenvergewaltigung (“newborn porn“, nennt Vukmir seine perverse Ausgeburt) und natürlich Jeca (Anđela Nenadović). Jeca ist ebenfalls eine Darstellerin in Vukmirs Snuff-Porno. Ein brünettes Mädchen im Alice-Outfit – ein verirrtes Wesen in einer perversen (hier als „verkehrt“ zu verstehen) Welt. Auch sie repräsentiert Serbien. Ein unschuldiges Wesen, das im Verlauf zu Miloš’ Opfer gemacht werden soll.

So sehen der Zuschauer und Miloš eine Aufzeichnung von Jeca, wie sie ein Eis leckt, während Miloš den Blowjob kriegt. Später legt sie in einer anderen Szene Miloš ihre Hand auf den Oberschenkel, von Spasojević aus der Ego-Perspektive gefilmt. Wie Miloš sieht der Zuschauer den newborn porn, ähnlich schockiert soll er im Filmfinale reagieren, wenn sich herausstellt, dass ein mit Drogen vollgepumpter Miloš zuerst Marija und dann seinen kleinen Sohn vergewaltigt. Vermeintliche Beschützer werden zu Tätern. Und damit in gewisser Weise auch zu Opfern. Eine großflächige Instrumentalisierung. Vom Staat auf Vukmir, von ihm auf Miloš. Ein Teufelskreis. Eine Botschaft, die in Deutschland allerdings verloren geht.

Die deutsche Version zensierte all diese Szenen von kinderpornographischem Inhalt. Kinderpornographie als Allegorie scheint nicht vereinbar mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft. Aber indem man Srpski film dieser Szenen (insbesondere im Finale) beraubt, beraubt man ihm seiner „Seele“. Und degradiert ihn zum stumpfen torture porn. Wenn sich in der finalen Klimax herausstellt, dass Miloš erst Partnerin dann Sohn vergewaltigt und sich sein Bruder Marko (Slobodan Beštić) daran beteiligt, ein Polizist und damit die personifizierte Symbiose von Staat und Familie, wird Vukmirs Mikro-Resümee (“A real, happy Serbian Family“) zum Makro-Urteil über (s)eine ganze Nation.

Vorzugeben, man wolle mit den Kinderpornographie kritisierenden Szenen nicht Kinderpornographie für Pädophile liefern, mag nach außen vertretbar sein, ohne dem wirklich gerecht zu werden. Denn Spasojević zeigt keine Kinderpornographie, sondern suggeriert diese. Oder um Benjamin Maack umzudeuten: „Nicht dem Film auf der Leinwand wurde der Prozess gemacht, sondern dem, der in den Köpfen der Zuschauer womöglich ablaufen könnte“ [8]. Am Ende Srpski film in einer Version auf den deutschen Markt zu bringen, die dem Film, seinem Inhalt und seiner Botschaft nicht mehr gerecht wird, dient letztlich weder den Produzenten, noch den Konsumenten. Allenfalls dem Staat.

Großflächig diskutiert wird nur darüber, was für allgemeines Aufsehen sorgt. Oder wie der israelische Satiriker Ephraim Kishon formulierte: „Ohne öffentlichen Skandal ist Kunst heutzutage unverkäuflich“ [9]. Für den Skandal zeichnen sich bei Srpski film die Kinderpornographischen Allegorien ebenso verantwortlich, wie die Gore-lastige Gewalt. Spasojević versteht es jedoch, beides entsprechend zu konterkarieren. Explizit kinderpornographisch ist keine Szene, der Rest eben reine Allegorie als Nationalkritik und der graphischen Gewalt wird durch ihre komikartige Umsetzung (einer von Vukmirs Helfern wird mittels eines erigierten Penis in die Orbita getötet) ein Großteil ihrer Schärfe genommen.

Oder anders gesagt: Srpski film wird heißer gekocht als gegessen. Sicherlich dürfte ein christlich-konservativ erzogener Mensch, der insbesondere dem Horrorfilm der letzten rund zehn Jahre ferngeblieben ist, weitaus schockierter und abgestoßener von Spasojevićs Werk sein. Für einen Cineasten steht Srpski film dagegen wohl in einer filmischen Tradition von Genrevertretern wie Pasolinis Salo o le 120 giornate di Sodoma oder dem Kino eines Gaspar Noé. Am Ende führt das weder zu Schund, noch zum Meisterwerk. Es ist ein redlicher Versuch, auf Missstände hinzuweisen und dies in künstlerischer Form. Getreu dem Maler Paul Klee: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ [10].

Indem Spasojević inszeniert wie er inszeniert, erschafft er (s)einen Skandal. Und mit diesem eine Aufmerksamkeit, die seinem Film wohl andernfalls nicht zuteil geworden wäre. Skandale zeigen, worüber sich eine Gesellschaft empört, wo ihre moralischen Grenzen liegen. Insofern hat Srpski film alles richtig gemacht. Was er zeigt, empört - und bestärkt die moralischen Grenzen. Letzteres in doppelter Hinsicht, durch seine allegorische Verpackung, wie deren Kommentarfunktion. In einer Filmlandschaft, wo jede x-beliebige Massenproduktion von der deutschen Film- und Medienbewertungsstelle das „Prädikat (besonders) wertvoll“ erhält [11], hätte dies wohl eher ein solches Werk wie Srpski film verdient.

Was bleibt ist ein cineastisches Enfant terrible, ein ausgemachter Skandalstreifen im positiven Sinne. In vielen Ländern zensiert, in manch anderen gleich ganz verboten. Zumindest so lange, bis sein wahrer Wert unter all den abschreckenden Bildern, die diesen kenntlich machen und transportieren sollen, irgendwann erkannt wird. Seinen ersten Dialogzeilen (“Baby, I’m gonna fuck you up“), versuchte Srpski film im Folgenden gerecht zu werden. Entgegen dem öffentlichen Bild ist das Resultat “not pornography, but life itself“, wie sich Spasojevićs Film in einer Szene selbst verteidigte. Somit treffen auf Srpski film durchaus auch Vukmirs finale Worte zu: “That’s it. That’s the cinema. That’s film!“.


Quellenangaben:

[1] http://de.wiktionary.org/wiki/kontrovers.
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Skandal.
[3] ebd.
[4] http://www.schnittberichte.com/schnittbericht.php?ID=43386.
[5] ebd.
[6] “(...) the absurd reactions of people that think it is a far harder film than it actually is”, http://www.aintitcool.com/node/47938.
[7] 13th Street Promo Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=uLIuJPS-4h4.
[8] Benjamin Maack (2011): Skandalfilme. Chaos im Kinosaal, einestages, 18. Januar 2011, http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/19901/chaos_im_kinosaal.html.
[9] http://www.morgenweb.de/service/archiv/artikel/729654887.html.
[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Klee.
[11] Teilweise bis zu sechs Filme pro Kinostartwoche, vgl. sechs von zehn Neustarts am 12. Mai 2011: „Senna“, „Löwenzahn – Das Kinoabenteuer“, „Utopia Ltd.“, „Polnische Ostern“ (alle „Prädikat wertvoll“), sowie „Geliebtes Leben“ und „Metropolis 27/10“ („Prädikat besonders wertvoll“).


Szenenbilder „Srpski film“ © Cinematic Vision.

2 Kommentare:

  1. Du hast also klammheimlich nen neuen Blog aufgemacht ;) Find ich gut.

    Aber änder doch diesen Waldhintergrund. Der stört ein wenig beim Lesen.

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  2. Zum Film kann ich zwar nichts sagen, aber hey, ein neues Blog! Hätteste ja ruhig mal öffentlicher ankündigen können... ;)

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