Love is smiling through all things

Als in The Thin Red Line, Terrence Malicks Antikriegsfilm von 1998, der Bataillonsführer Captain Staros (Elias Koteas) den Befehl verweigert, seine Männer der Gefahr eines feindlichen Maschinengewehrs auszusetzen, kommt ihm sein Vorgesetzter, Colonel Tall (Nick Nolte), pragmatisch daher. “Nature’s cruel“, raunt Tall fernab von der Front darwinistisch in sein Funkgerät. Natur ist bei Malick Teil eines monistischen Weltbildes, in seinem jüngsten Film The Tree of Life von seiner himmlischen Mutter (Jessica Castain) dagegen dualistisch ausformuliert als “the way of nature and the way of grace“. Ein „entweder-oder“-Weltbild, mit welchem sich die Figuren des Films konfrontiert sehen.

Weitestgehend folgt Malick hierbei dem Dualismus von Emerson [1] und seiner eigenen Werksphilosophie. “You just got half-devil and half-angel in you“, verriet Linda (Linda Manz) dem Publikum bereits vor 30 Jahren in Days of Heaven. Der Zwiespalt zwischen Natur und Gnade ist ein Immerwährender in Malicks Oeuvre, unabhängig davon, ob ihn Private Witt (James Caviezel), John Smith (Colin Farrell) oder nun Jack O’Brien (Hunter McCracken) ausfechten. “Father. Mother. Always you wrestle inside me. Always you will“, resümiert Letzterer zum Filmende resigniert. Zwei Wege gäbe es im Leben, hatte die Mutter zu Beginn verkündet: “You have to choose which one you follow“. Natürlich sind es Beide.

Wieder einmal beschäftigt sich der verschlossene Texaner mit diesem ambivalenten Zwiespalt, versimplifiziert als Kampf von „Gut“ und „Böse“. So ähnlich sah man ihn 2005 bereits in Malicks Liebesgedicht The New World, als eine gnadenvolle Pocahontas (Q’Orianka Kilcher) auf den natürlichen Smith traf. In The Tree of Life begegnen wir ihnen in doppelter Hinsicht wieder. Auf der einen Seite die vollkommenen Figuren der Mutter und ihres Zweitältesten, R. L. (Laramie Eppler), und ihnen gegenüber die hin- und hergerissenen Mr. O’Brien (Brad Pitt) und Jack. “Brother. Mother. It was they that lead me to you”, lauten daher die ersten, von Jack geäußerten, Worte des Filmes bezüglich der Gnade.

Gerade im Verhältnis zum jüngeren Bruder spiegelt sich der Zwist der beiden Ideologien wieder. Der dritte O’Brien-Sohn, Steve (Tye Sheridan), spielt hier eher eine komplementäre Rolle, aber keine essentielle für das Verständnis von Malicks Botschaft. Zu jung scheint er, liegen Jack und R.L. doch mit zwei Jahren Unterschied näher beieinander. Immer wieder zeigt uns Malick daher Bilder, in denen Jack sich in Konkurrenz zum Jüngeren wiederfindet. Sei es in der kleinkindlichen Obhut der Mutter oder später, als sich R.L. künstlerisch talentierter zeigt als der Ältere. Es ist R.L., der mit seinem Gitarrenspiel den Vater und mittels Farbenmalerei die Gunst der Mutter für sich zu gewinnen scheint.

Eine Sonderrolle, die sich auch in der ersten Drehbuchfassung zeigte, in der mehrfach die Sanftmut und Güte von R.L. hervorgehoben wurde [2]. So ist es auch R.L., der sich als Einziger traut, dem Vater am Tisch – ohnehin ein Martyrium für die Kinder [3] – Paroli zu bieten (“Be quiet. Please“). Als quasi „Heiliger“ der Familie ist er es, der zu Beginn des Films sterben muss. Die Gründe bleiben unklar, werden in der Kritik meist mit dem Soldatentod in Vietnam erklärt, offen gehalten werden sollte angesichts der biographischen Elemente aus Malicks Leben jedoch auch ein Suizid [4]. Ein Tod, der besonders das Leben der gläubigen Mutter (“Lord. Why? Were were you?“) aufrütteln wird, jedoch auch das Leben von Jack.

„Wie ein Stein in einen See fällt die Nachricht vom Tod“, wie Verena Luecken richtig bemerkte [5]. „Und wie die Wasserringe, die von dem Stein aus schließlich den ganzen See überziehen, erfasst diese Nachricht jeden Gedanken, jeden Glaubenssatz, jede Erinnerung.“ [6] Sie ist es, die den Film lostritt und mit Theodizee-Fragen die ersten Minuten füllt. “Where were you?“, fragt auch ein junger Jack später, als einer seiner Freunde ertrinkt. “You let a boy die“, klagt er an und genauso gut könnte man den Vorwurf auf R.L. münzen. “He is in God’s hands now“, spendet ein Pastor der Mutter zu Beginn Trost. “He was in God’s hands the whole time“, reagiert diese ob der Antwort verständnislos.

Der Herr gibt und der Herr nimmt, so die hilflose Antwort der Großmutter (Fiona Shaw). Es folgt ihr unnützer Hinweis: “You have your memories (…) Life goes on“. Erinnerungen sind dann das, mit dem Malick seinen Film von Anfang an aufzudröseln beginnt - mit dem Anfang aller Dinge. Was folgt ist „wundersames, mitreißendes und bildgewaltiges Kino“ [7], wenn Malick die Analogie zwischen Mikro und Makro zieht und die Entstehung allen Seins mit der Entstehung des Hauptprotagonisten in Einklang bringt. Vom Urknall über die Geburt unseres Sonnensystems bis hin zu Ein- und Mehrzellern. “The ancient Greeks called the world κοσμος, beauty”, schrieb Emerson [8] – und Malick hat verfilmt wieso.

Minutenlang fetischisieren die Bilder die physikalische Natur zu einem Kaleidoskop von Filmgemälden [9], ehe wir in einem Flussbett Dinosaurier und mit ihnen “the first act of compession” erleben [10]. Ein Ornithomimus-Saurier nähert sich einem verletzten Parasaurolophus, setzt den Fuß auf den Kopf des liegenden Artgenossen, wiederholt diese Bewegung und zieht von dannen. Was von Kritikern als Gnadensgeste zwischen Räuber und Beute ausgelegt wird, soll wohl primär eine Analogie zu einer späteren Szene zwischen Jack und R.L. repräsentieren [11]. Angetrieben von seinem Neid missbraucht der Ältere hier das Vertrauen des Jüngeren, der letztlich dem Manta der Mutter folgt und vergibt [12].

Sowohl Mutter wie R.L. verwirren Jack in ihrer anmutigen Demut. “Grace (…) accepts insults and injuries“, erläutert Chastains “saintly supermother“ [13] zu Beginn. Später sehen wir, wie sie sich ihrem Mann unterwerfen muss (Jack: “You let him run all over you”) und wie Jack das Vertrauen des Bruders (“I trust you“) missbraucht und damit auch die Vorgaben der Mutter ignoriert. Und indem sie in den ersten Minuten verkündet “Nature (…) finds reasons to be unhappy, when all the world is shining around it“, nimmt dies ebenfalls das Innenleben von Jack (“What I want to do, I can’t do. I do what I hate”), insbesondere jedoch die vermeintliche Katharsis seines Vater zum Ende von The Tree of Life voraus.

Im Strukturaufbau folgen die O’Briens dem Vergleich von Captain Bosche (George Clooney) aus The Thin Red Line: “Father’s the head [of the family], mother runs it“. Das Verhältnis der Familie zu Mr. O’Brien ist ein sichtlich Gestörtes, mehr noch so in der ersten Drehbuchfassung [14]. Seine bloße Anwesenheit führt zu Disziplin: aufrecht sitzen am Tisch, leise die Haustür schließen, das Eigentum der Nachbarn respektieren. Als er einige Tage verreist, ist es speziell Jack, der von seiner „Freiheit“ überwältigt scheint. Die Folge sind Vandalismus, Tierquälerei und Diebstahl, kulminierend im Gewaltakt gegenüber dem jüngeren Bruder. “I’m as bad as you are“, akzeptiert Jack zum Schluss. “I’m more like you than her.”

Wenn Thomas Assheuer bemerkt, dass die Kinder „von ihrem tyrannischen Vater drangsaliert, gequält und gedemütigt werden“ [15], dann mag dies heute auf uns so wirken, für die Eisenhower-Ära war dies jedoch nichts Ungewöhnliches. Vielmehr gehört Mr. O'Brien zu jenen klassischen Figuren, die wollen, dass es ihren Kindern besser ergeht, als ihnen selbst. “Don’t do like I do“, rät ihnen der gescheiterte Musiker und erzieht seine Söhne für eine Ellbogengesellschaft. “It takes fierce will to get ahead in the world. If you’re good, they’ll take advantage of it. (…) If you want to succeed, you can’t be too good.” Gemäß dem Fall, R.L. stirbt den Soldatentod, erhalten die Worte des Vaters hier ein zynisches Echo.

Erst zum Schluss des Films gewinnt Pitts Figur an Einsicht, als er in eine andere Stadt versetzt wird. “I wanted to be loved ‘cos I was great. A big man. Now I’m nothing”, stellt Mr. O’Brien fest. “I dishonoured it all and didn’t notice the glory. A foolish man.” Eine Realisation, die an die Erkenntnis von John Smith erinnert (“I have become, as it were, a monster unto many”), und sich des Urteils der Gattin bezüglich der Natur gewahr wird. Dabei ist auch Mr. O’Brien nicht ohne Gnade, liebt seine Söhne, selbst wenn diese das durch die Strenge und Disziplin nicht zu bemerken scheinen. Küsse und Liebesbekundungen müssen befohlen werden, Zuneigung zwischen den Eltern sehen wir lediglich in einer Rückblende.

Eine Bindung der Kinder zu Pitts Figur ist somit kaum vorhanden, selbst wenn einzelne Szenen dies bisweilen suggerieren mögen. „Väter (…) sind Agenten feindlicher Welten, der Erwachsenenwelten“, schreibt Kerstin Decker [16]. Und in der Tat scheint die sinnliche Mutter näher an ihren Kindern zu sein. Weckt sie frech mit Eiswürfeln, wo der Vater grob die Decke wegzieht. Spielt mit ihnen und tollt, ist Fixpunkt und personifizierte Gnade. In einer Szene sehen wir sie in der Luft tanzend, in der nächsten liegt sie Schneewittchen-gleich in einem Glassarg im Wald. Fee und Prinzessin in einem – das Frauenideal schlechthin und Auslöser von Ödipuskomplexen bei den Söhnen Jack (“She only loves ME!“) und Steve [17].

Zugleich repräsentieren Mutter und Vater in The Tree of Life nicht nur Eltern, sondern neben Gnade und Natur auch das christliche Ideal von „Gott“. Doppeldeutig fragt Jack an einer Stelle “Why does he hurt us? Our Father”, während er seine Mutter bittet: “Mother. Make me good”. Lässt sich der strenge und strafende Mr. O’Brien mit dem alttestamentarischen Gott gleichsetzen, stellt Mrs. O’Brien den gütigen, vergebenden und liebenden Gott des Neuen Testaments dar. Gut wie Böse und doch eins als Schöpfer. “Who are you, who live in all these many forms?“, hinterfragte Private Train (John Dee Smith) in The Thin Red Line Gottes Wille im Voiceover – “almost a Malick cliché in itself” [18].

Besonders in seinen letzten drei Filmen kontrastierte Malick seine Protagonisten mit existentialistischen Fragestellungen. “This great evil. Where does it come from?“, will Train wissen und John Smith wiederum: “What voice is this that speaks within me? Guides me towards the best?”. Malicks Figuren sehen sich als Teil eines größeren Ganzen und dementsprechend einer Calvinistischen Prädestination ausgeliefert. “That’s where God lives“, sagt Mrs. O’Brien einmal und zeigt mit dem Finger gen Himmel. Dennoch fragt Jack später: “Where do you live?“. Für die Figuren ist Gott überall und nirgendwo. „Alles um uns, unter uns und vor uns“ ist bei Kerstin Decker dagegen „kosmische Gleichgültigkeit“ [19].

Leicht lässt sich The Tree of Life daher als “Christian“ [20] oder “neo-Christian“ [21] lesen, für Christina Striewski gar als „reaktionäre[r] Bilderbuch-Baptismus“ [22]. Die Frage ist jedoch, ob ein Film über christliche Fragestellungen dadurch gleich ein christlicher Film ist? So folgt Malicks Schöpfungsgeschichte dem darwinistischen Weltbild, vom Urknall über die Einzeller bis hin zu Dinosauriern – Gott betritt das Bild erst durch die menschlichen Figuren. Und auch hier spielt er nur eine Rolle, in der Beantwortung der existentiellen Fragen oder in Momenten des Verlusts. “Lord. Why? Where were you? Did you know? Who are we to you? Answer me“, klagt Mrs. O’Brien nach dem Tod von R.L. fast hiobsartig.

Es ist die von Nonnen erzogene Mutter, deren Glaube durch den Kindstod am meisten, wenn nicht gar ausschließlich, erschüttert wird. “Help each other. Love everyone“, gab sie ihren Söhnen mit auf den Weg – keiner ist ihr darin so gefolgt wie R.L. “Your mother’s naive“, urteilte der Vater arrogant. Schon vor dem Verlust des Zweitgeborenen wies ein Priester darauf hin, dass Unglück auch die Guten befallen kann: “We can’t protect our children“. Mit dem Tod des gütigen Sohns starb letztlich auch der Glaube an die Güte. “Never afterwards were you the same. Your faith in goodness shaken“, ließ Malick in der ersten Drehbuchfassung Jack bemerken [23]. “How did she bear it?“, heißt es dann im fertigen Film.

Alles kann in The Tree of Life als symbolisch aufgeladen betrachtet werden, ohne dass es dies muss. “My hope. My God. (…) My soul. My son“, sagt Mrs. O’Brien zu Beginn, später wird daraus: “Light of my life. I search for you. My hope. My son” [24]. Ein erwachsener Jack (Sean Penn) wiederum fragt in seinem sterilen Bürokomplex in malick’scher Tradition den Blick nach oben (“That’s where God lives!“) richtend: “How did I lose you?”. R.L. ist somit nicht nur Sohn und Bruder, sondern zugleich Emblem der Gnade und damit Hoffnung für die Figuren, die sie erblicken. “When did you first touch my heart?“, mag daher vielmehr eine Frage an die von der Mutter gelehrte, und von ihr mit Gott identifizierte, Gnade sein.

Die von Malick hierfür orchestrierte Erhabenheit und Größe wurde dann bereitwillig vom Feuilleton als „größenwahnsinnig“ [25] oder „mythologischer Kitsch“ [26] ausgelegt. „Ein Nebeneinander von Genie und Wahnsinn“, schrieb Susan Vahabzadeh [27] über Malicks Unterfangen, „eine Erklärung für das Geworfensein des Menschen zu finden“ [28] in seinem “failed Garden of Eden“ [29]. Weil der Texaner seine Geschichte „nicht erzählt, wie wir es gewohnt sind, sondern so, wie Erinnerung funktioniert: punktuell, unchronologisch, mit langen oder ganz kurzen Szenen aus verschiedenen Zeiten“ [30], erhielten manche Kritiker den Eindruck, The Tree of Life sei ein „cineastischer Totalschaden“ [31].

Christina Striewski sah in der christlichen Thematik gar Propaganda, da „der Zuschauer systematisch in eine Rezeptionshaltung gezwungen wird, die ihm seine eigene Nichtigkeit vor Augen führt“ [32], und für Thomas Assheuer liegt der „Skandal des Films“ darin, dass die Natur „alles besser“ weiß [33]. Die Geister schieden sich an Malicks jüngstem Film, nicht zuletzt aufgrund der Schlussminuten. Das Ende der Welt sei hier getreu der Offenbarungsthesen [34] zu sehen, resultierend in einer christlich konnotierten Himmelsvorstellung. Dabei ist Malicks Kino nicht so sehr christlich motiviert – auch wenn es sich christlicher Motive bereitwillig bedient –, sondern vielmehr von metaphysischer Natur.

“Maybe all men got one big soul…who everybody’s a part of. All faces of the same man. One big self“, philosophierte Witt in The Thin Red Line. Weitergedacht entwickelt sich daraus ein hylozoistisches Weltbild, in welchem Malicks Gott eins mit der Natur, dem Kosmos und auch dem Menschen ist. Mit der Weltseele als „Sein des Seienden“ [35], wohingegen Malicks spirituelle Figuren oftmals das Sein gleichsetzen mit Gott als Schöpfer und damit als Grenze des Erfassbaren [36]. “You, the great river, that never runs dry“, pries Pocahontas in The New World und Emerson sprach vom Fluss als Erinnerung an “the flux of all things” [37]. Für Naturphilosoph Thales galt Wasser daher auch als Urgrund allen Seins [38].

Wasser gehört deshalb wohl nicht von ungefähr zum festen Motiv-Repertoire des US-amerikanischen Regisseurs, sind doch die Elemente wie auch die Natur selbst „in gewisser Weise ein Charakter in allen Filmen Malicks“ [39]. Im Wasser findet das Leben seinen Ursprung und bisweilen auch wieder sein Ende [40]. Bei all seinen tieferen Lesarten, sowie Bedeutungsschwangeren und doppel- oder dreifachdeutigen Szenen und Momenten ist The Tree of Life subsumiert doch ein primär biographischer Film und ein Familiendrama als Zeitkolorit. Angesiedelt in Malicks Heimatstadt Waco, Texas, verarbeitet der Regisseur Erinnerungen und letztlich sicher auch Emotionen seiner Kindheit als filmische Arabeske [41][42].

Somit untermauert Terrence Malick mit The Tree of Life seinen Ruf als „größter Visionär des Kinos seit Kubricks Tod“ [43]. Unterstützt von klassischen Stücken der Herren Belioz, Preisner, Tavener und Co., sowie der intuitiven Kamera eines Emmanuel Lubezki, erneuert Malick “the beauty and power of the image as a carrier of meaning“ [44]. Passend erachtet Ian Nathan daher den Film als “heaven-sent“ gegenüber “the brute attack of modern cinema“ [45]. Gerade das heutige Kino verträgt mehr Philosoph(i)en, eine Rolle, die der “poet-philosopher“ Malick seit langem ausfüllt [46]. So ließe sich auch Pocahontas’ Analogie für John Rolfe (Christian Bale) auf Malick anwenden: “He is like a tree“a Tree of Life.



Quellenangabe:

[1] “Philosophically considered, the universe is composed of Nature and the Soul. (…) Therefore, all that is separate from us, (…) must be ranked under this name, NATURE”, vgl. Ralph Waldo Emerson: Nature (1836), in: Ders.: Nature and Other Essays, Mineola 2009, S. 1-33, hier S. 2.
[2] “[R.L.] is the gentlest of the boys (…) Jack suspects that he might be [his mother’s] favourite”, Terrence Malick: The Tree of Life, © Registered with the Writers Guild of America, 25. Juni 2007, http://www.mypdfscripts.com/screenplays/the-tree-of-life, S. 40. Siehe auch “[R.L.], so unlike the others, gentle as a sage (…) Mr. O’Brien feels that he understands the other two, but there is something about RL that strikes a certain awe in him.”, ebd., S. 85.
[3] “Dinner is nervous time, often a little hell”, ebd., S. 31.
[4] vgl. Sean Gandert: Terrence Malick. The Early Works, in: Paste Magazin.com, 08.06.2011, http://www.pastemagazine.com/articles/2011/06/a-look-back-at-terrence-malick-part-zero.html.
[5] Verena Lueken: Requiem für einen verlorenen Sohn, in: FAZ.net, 15.06.2011, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/video-filmkritiken/video-filmkritik-the-tree-of-life-requiem-fuer-einen-verlorenen-sohn-1105296.html.
[6] ebd.
[7] Andreas Borcholte: Großartiger Größenwahn, in: Spiegel Online, 16.05.2011, http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,762824,00.html.
[8] Emerson, S. 5.
[9] “The cinematography fetishes nature to such an extent that the images threaten to engulf the narrative, turning the films into exercises in ‘film painting’“, Ben McCann: ‘Enyoing the Scenery’. Landscape and the Fetishisation of Nature in Badlands and Days of Heaven, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, London/New York ²2007, S. 77-87, hier S. 79.
[10] Nick James: Daze of Heaven, in: Sight & Sound, Vol. 21 issue7 (Juli 2011), S. 18-21, hier S. 20.
[11] Obschon als Fleischfresser geführt, verfügten Ornithomimus-Saurier über keine Zähne, weshalb der Parasaurolophus als Beute unwahrscheinlich erscheint, vgl. Artikel „Ornithomimus“, Dinosaurier-info, http://www.dinosaurier-info.de/animals/dinosaurs/pages_o/ornithomimus.php.
[12] “Help each other. Love everyone. (…) Forgive“.
[13] James, S. 21.
[14] “They understand that he is devoted to them. He would never abandon them, no, but always protect them. Still they do not trust him”, s. Malick, S. 31.
[15] Thomas Assheuer: Im Schoß der Weltmutter, in: Zeit Online, 16.06.2011, http://www.zeit.de/2011/25/Film-Tree-of-Life.
[16] Kerstin Decker: Gott guckt mit, in: Der Tagesspiegel, 13.06.2011, http://www.tagesspiegel.de/kultur/kino/tree-of-life-gott-guckt-mit/4281006.html.
[17] “STEVE: Can I marry you when I grow up?”, Malick, S. 77.
[18] James, S. 21.
[19] Decker.
[20] John Waters: The Best Films of 2011, in: Artforum, Dezember 2011, http://artforum.com/inprint/id=29547.
[21] James, S. 21.
[22] Christina Striewski: Drei Schlote, zwei Krokodile, ein Fisch, in: Perlentaucher, 25.07.2011, http://www.perlentaucher.de/artikel/7000.html.
[23] Malick, S. 6.
[24] Die Stelle wird teilweise auch als “Life of my life“ wiedergegeben, was auf die geflüsterten und daher nicht immer vollends verständlichen Voiceover zurückzuführen ist.
[25] Borcholte.
[26] Assheuer.
[27] Susan Vahabzadeh: Stückchen Schöpfung, in: Süddeutsche.de, 15.06.2011, http://www.sueddeutsche.de/kultur/im-kino-the-tree-of-life-stueckchen-schoepfung-1.1108482.
[28] Borcholte.
[29] James, S. 21.
[30] Lueken.
[31] Harald Peters: Brad Pitt kann bei Terrence Malick nichts retten, in: Welt Online, 15.06.2011, http://www.welt.de/kultur/kino/article13429086/Brad-Pitt-kann-bei-Terrence-Malick-nichts-retten.html.
[32] Striewski.
[33] Assheuer.
[34] „nach der Bedrängnis jener Zeit wird die Sonne sich verfinstern und der Mond seinen Schein verlieren“, Matthäus, 24,29 (Lutherbibel).
[35] Heidegger, Martin: Wozu Dichter?, in: Ders.: Holzwege, Frankfurt am Main  1963, S. 248-295, hier S. 256.
[36] “Being is the ground of beings because beings come to presence through Being”, Marc Furstenau/Leslie MacAvoy: Terrence Malick’s Heideggerian Cinema. War and the Question of Being in The Thin Red Line, in: Hannah Patterson (Hrsg.): The cinema of Terrence Malick. Poetic visions of America, London/New York ²2007, S. 179-191, hier S. 183.
[37] Emerson, S. 10.
[38] vgl. Aristoteles: Metaphysik I, 3, http://classics.mit.edu/Aristotle/metaphysics.1.i.html.
[39] Dan Hoffman: Terrence Malick’s Poetic Vision of the Outlaw Couple. Badlands, in: Thought Catalog, 1. April 2011, http://thoughtcatalog.com/2011/terrence-malicks-vision-of-the-outlaw-couple-kit-and-holly-in-badlands/.
[40] Der Tod von Jacks Kamerad erfolgt in der Tradition von Bill (Richard Gere) in Days of Heaven und Witt (James Caviezel) in The Thin Red Line im Wasser.
[41] vgl. “The Tree of Life: Die Hintergründe” © Concorde Video.
[42] vgl. A. O. Scott: Heaven, Texas and the Cosmic Whodunit, in: New York Times, 26.05.2011, http://movies.nytimes.com/2011/05/27/movies/the-tree-of-life-from-terrence-malick-review.html.
[43] Lueken.
[44] Furstenau/McAvoy, S. 182.
[45] Ian Nathan: The Tree of Life, in: Empire, issue 266 (August 2011), S. 50f., hier S. 51.
[46] Ron Mottram: All Things Shining. The Struggle for Wholeness, Redemption and Transcendence in the Films of Terrence Malick, in: Hannah Patterson (Hrsg.): The cinema of Terrence Malick. Poetic visions of America, London/New York ²2007, S. 14-26, hier S. 14.


Szenenbilder „The Tree of Life“ © Concorde Video.

Fights, Bites, and Videotape

Durchtrainierter Körper, schmierige Haare, undeutliches Gebabbel. Es erklingt „Golden Brown“ von The Stranglers und Jason Statham verrät aus dem Off, dass ein zigeunerischer Bare-knuckle Box-Champion “harder than a coffin nail“ sei. Hört man hierzulande „Bare-knuckle Boxen“, dann denkt man vermutlich an Brad Pitt und Guy Ritchies Snatch. Die Pavee, die irischen Nomaden, sind amüsanterweise sehr stolz auf die Komödie, selbst wenn sie sich nicht als Zigeuner verstehen und der Film lediglich oberflächlich etwas mit ihrer Realität gemein hat. Aber immerhin stellt sie auf der Leinwand ein Hollywood-Star dar. Zeitgleich zu Snatch (2000) drehte auch Ian Palmer einen Film über Bare-knuckle Boxing - seine 12 Jahre überbrückende Dokumentation Knuckle.

Angefangen hatte alles mit der Videoaufzeichnung einer Hochzeit Ende der 1990er Jahre. Der Bräutigam war Michael Quinn McDonagh, während einige Straßen weiter seine beiden älteren Brüder James und Paddy dem Würfelspiel frönten. Nicht das einzige Laster der Quinn McDonaghs, wie sich herausstellt. James ist vielmehr der Bare-knuckle Champion der Familie und als solcher im Dauereinsatz. Weil sein Bruder Paddy Anfang der Neunziger ein Mitglied der Pavee-Familie Joyce nach einem Bar-Streit totgeschlagen hat, sitzen sich die beiden Clans seither an der Gurgel. Dabei sind sie nicht die einzigen: Egal ob Quinns, McDonaghs, Joyces, Nevins oder andere – der Hass sitzt tief und geht laut Manchen 20, Anderen zufolge sogar 50 Jahre zurück. Und er wird weiter vererbt.

Hass aus Tradition, der mittels Bare-knuckle Boxen ein Ventil erhält. “The families don’t like each other, it’s the safest way to sort things out“, bestätigt James Quinn McDonagh. Doch hierbei handelt es sich nicht nur um eine Fehde zwischen Familien, sondern um eine Familienfehde. Innerhalb der Pavee-Gemeinde sind viele Familien miteinander verwandt, so auch die McDonaghs und Joyces. “Brothers and cousins fighting brothers and cousins“, nennt Ian Palmer dies bei Aufnahmen aus dem Jahr 1999. Sieben Kämpfe wurden damals an einem Tag organisiert, darunter auch derjenige zwischen den beiden Cousins Michael Quinn McDonagh und Paul Joyce. Doch Blutverwandtschaft zählt in diesen Kämpfen nicht, nur der Name des jeweiligen Clans und somit dessen Ehre.

Two right men go out to fight, both want to finish it. 
A good fight lasts 20 minutes, the men should be broken up. 
Noses and mouths broke in, black eyes, maybe 15 or 16 stitches. 
That’s a fight. (Big Joe Joyce)
Zumindest lautet so die Idee, umgesetzt wird sie jedoch ganz anders. Zwar ist Bare-knuckle Boxen laut James McDonagh “the safest way to sort things out“, dennoch weiß auch er: “You could kill someone“. Hört man ihm so zu, scheint er eher widerwillig gegen die Joyces und Nevins anzutreten. “We are no saints“, meint er dann auch bezüglich seiner eigenen Sippschaft. Vielmehr noch: Palmer springt ein Mal zu einer Aufnahme aus 2009, in welcher James hinsichtlich der in Oxford und London beheimateten Joyces gar sagt: “They’re the nicest people in the world“. Versuchte Knuckle zwar zu Beginn, die Kämpfe als Form der Konfliktlösung zu propagieren, wird mit fortschreitender Filmdauer klar, dass das Boxen im Laufe der Zeit eine ganz andere Bedeutung bekommen hat.

In seinem ersten Kampf ging es für James ‘The Mighty’ Quinn McDonagh noch darum, den Zwist nach dem Tod von Brian Joyce zu schlichten. In seinem letzten Kampf sollte James dann gegen den Sohn jenes Mannes kämpfen, den er in seinem ersten Kampf besiegt hatte. “Bare knuckle fighting is about representing your family”, erzählt Ian Palmer [1]. In manchen Fällen mag dies stimmen, in anderen jedoch weniger. So prügeln sich zum Schluss des Films erneut Michael McDonagh und Paul Joyce. Ersterer hat durch sein Training einen gestählten Körper, Letzterer scheint dagegen weniger in Topform geblieben zu sein. Um die Ehre der Familie geht es in diesem reunion fight weniger, eher um Geld. Jeder Clan investiert in seinen Vertreter, im Falle von Michael und Paul sind es 60 000 Pfund.

Summen, die je nach Kampf und Kämpfer auch nach oben schnellen können. So gewann James McDonagh mit seinem letzten Sieg ein finanzielles Zubrot von 180 000 Pfund. Sicherlich mag es zahlreiche Mitglieder der Familie Joyce oder Nevin wurmen, wenn sich James für unbesiegbar hält. Noch reizvoller als ihn eines Besseren zu belehren sind jedoch wohl eher die schnell verdienten Riesensummen. Dementsprechend ist durch die gesamte Dokumentation hindurch auch kein Ende der Kämpfe in Sicht. Und gerade wenn Palmer ältere Pavee oder die Frauen der Familie vor die Kamera kriegt, zeigt sich, dass Bare-knuckle Boxen vielleicht nicht verkommerzialisiert, aber inzwischen zweckentfremdet wurde. “It’s proving nothing“, seufzt daher eine der Frauen.

Michael Quinn McDonagh versus Paul Joyce im Jahr 1997...
... und für ein Preisgeld von ₤60 000 ein Jahrzehnt später.
Zugleich scheint sie hin- und hergerissen. Ihre Mutter ist eine Nevin, wie ohnehin jeder irgendwo in seinem Stammbaum eine/n Nevin oder Joyce besitzt. “We’re all one“, zeigt sich das McDonagh-Mitglied unverständig. Kurz darauf berichtet uns Palmer, dass die Meinung der Frauen keine Rolle für die Männer spielte. “Each fight just seemed to lead in another“, stellt er nach einer Stunde Laufzeit langsam fest. Zwar spricht er James McDonagh in einer Szene bezüglich der finanziellen Vorzüge der Kämpfe an, dennoch konfrontiert der Regisseur die Beteiligten leider nicht mit dem von ihnen selbst vorangetriebenen Irrsinn. Denn den meisten Kämpfen geht eine Videobotschaft einer der Parteien voraus. “It’s what you say on the videos that makes the fights“, weiß einer der „Ringrichter“.

Absurde Ausmaße nimmt dies an, wenn sich Michael und Paul nach ihrem reunion fight darüber lautstark auslassen, wer nun eigentlich auf das Video von wem reagiert hat. Und jener Videoaffinität der Pavee hat es Palmer wohl auch zu verdanken, dass er den drei Familien über ein Jahrzehnt lang folgen durfte. Zwar kommen auch Big Joe Joyce oder Ditsy Nevin zu Wort, dennoch liegt der Fokus von Knuckle ganz klar auf den Quinn McDonaghs, speziell dem heroisierten James ‘The Mighty’. Begann er das Bare-knuckle Boxen, um die Fehde zu beenden und führte es primär fort, weil es gutes Geld einbrachte, geht es Big Joe dagegen darum, den Ruf des „King of the Travelers“ für sich zu beanspruchen. Einen lässt Palmers dabei erstaunlicherweise total außen vor: Paddy Quinn McDonagh.

Ihm ist die Familienfehde letztlich zu verdanken, war er es doch, der 1992 wegen Totschlags an Brian Joyce nach einem Streit ins Gefängnis musste und so den lange begrabenen Hass zwischen den Clans wieder zum Vorschein brachte. Eine Stellungnahme zu dem Vorfall liefert er Palmer jedoch nicht und scheinbar waren es auch seine Brüder, die um die Ehre seines Namens und den des Clans kämpfen mussten, anstatt er selbst. “I was completely hooked from day one”, erinnert sich Palmer. “Not hooked necessarily on making a documentary, but just ... seduced by this thing.” [2] So erklärt sich wohl, dass Knuckle keine sonderlich objektive Dokumentation geworden ist, die viele Dinge hinterfragt, sondern eher ein filmisches Dokument eines adoptierten „Familienmitgliedes“.

Michael Quinn McDonagh und sein Bruder James 'The Mighty'.
Und vermutlich hätte Palmer einfach unentwegt weiter gefilmt, hätte ihm James McDonagh nicht Ende des vergangenen Jahrzehnts ein Ultimatum gesetzt. Der Rückkampf zwischen Michael und Paul sollte der letzte Einblick sein, den Palmer erhalten würde. Für Michael ging es hier um die Ehre, hatte er den 97er Kampf doch verloren, weil er wegen unerlaubten Beißens disqualifiziert worden war. Paul dagegen lockte wohl das Geld, sowie die Tatsache, dass ein Joyce nicht vor der Videobotschaft eines Quinn McDonagh den Schwanz einziehen kann. Bezeichnend ist jedoch, dass sich dieser Kampf um alles dreht, außer den Tod von Brian Joyce. Was die Naht der Narbe zwischen den Familien wieder aufriss, spielt 15 Jahre später keine Rolle mehr. „Frieden“ scheint dennoch nicht möglich.

Gegen Ende der Dokumentation fängt Palmer einige der Quinn McDonagh Jungs ein, die im Hof ihres Viertels Schattenboxen betreiben. Man wird das Gefühl nicht los, dass sich zumindest einige von ihnen in zehn Jahren auf einer verlassenen Landstraße oder einer Baustelle wiederfinden. Gelockt von einem diffamierenden Video eines Joyce oder Nevin streben sie dann danach, ihren Clan zu repräsentieren und ihre Ehre hochzuhalten. Mit Paddy McDonagh und Brian Joyce wird dies nichts mehr zu tun haben, noch weniger mit Vorfällen, die ihren Ursprung Mitte des 20. Jahrhunderts finden. Vielleicht gehört das Bare-knuckle Boxen auch einfach zur Kultur der Pavee dazu. Und solange keiner der Cousins zu Schaden kommt, ist es vermutlich in der Tat “the safest way to sort things out“.



Quellenangabe:


[1] B. Alan Orange (2011): Exclusive: Ian Palmer and James Quinn McDonagh talk Knuckle. In: Movieweb, http://www.movieweb.com/news/exclusive-ian-palmer-and-james-quinn-mcdonagh-talk-knuckle.
[2] Kieran Mulveney (2011): Of Travelers, family feuds and bare knuckles … In: ESPN.com, http://sports.espn.go.com/sports/boxing/news/story?id=6054377.


Szenenbilder „Knuckle“ © Revolver Entertainment.