An Avalanche of Tenderness

Vermutlich hat in den 1990er Jahren niemand mehr damit gerechnet, nochmals einen Film von Terrence Malick zu Gesicht zu kriegen. Mit Days of Heaven hatte er sich Ende der Siebziger verabschiedet, was er seitdem wirklich machte, darüber herrscht bis heute Unklarheit. Unter anderem soll er in Frankreich Philosophie gelehrt haben und angesichts von To the Wonder scheint das der Fall zu sein. Denn ähnlich wie sein voransgegangener Film, The Tree of Life, ist To the Wonder autobiographisch von Malicks Leben inspiriert. Insofern kann er als Nachsatz zu diesem gesehen werden [1]. Nicht nur, weil beide Filme von ihrer Inszenierung beinahe identisch sind, sondern auch, weil lediglich ein Jahr zwischen ihnen liegt.

Vorbei die Zeiten, in denen man sechs bis sieben – geschweige denn 20 – Jahre auf einen neuen Film des Texaners warten musste. Für manche kommt das einem Kulturschock gleich [2]. Momentan dreht der zurückgezogen lebende Regisseur sogar drei Filme hintereinander. Was einerseits begrüßenswert ist, andererseits jedoch der Magie seiner seltenen Filmkunstwerke etwas den Wind aus den Segeln nimmt. Denn To the Wonder ist nicht nur ein cineastisches Nachbeben zum ambivalent rezipierten Bildorgasmus The Tree of Life, sondern bedient sich auch sonst der Bild- und Sprachpalette Malicks. Zudem macht der Film klar: Wer bis jetzt mit dem Regisseur nichts anfangen konnte, wird dies auch nicht mehr [3].

Eine Handlung ist hier nicht wirklich – und irgendwie doch – vorhanden, allerdings lag dem Film auch kein Drehbuch zu Grunde. Nutzte Malick diese abgesehen von Badlands ohnehin eher als eine Art Leitfaden, beschränkte er sich in To the Wonder, den Darstellern bloße Gedanken und Dialogzeilen zukommen zu lassen. Wichtiger als Text ist in Malicks Filmen ohnehin die Bewegung, sowohl die der Charaktere als auch die der Kamera von Emmanuel Lubezki. Diese schwebt noch mehr als sonst hinter den tanzenden Figuren über Felder und Wiesen, badet sich im Schein der Sonne im gen Himmel gerichteten Blick und wirkt auf eine ätherische Art und Weise irgendwie überall und nirgendwo zugleich präsent.


Darunter zu Beginn des Films in einem Zugabteil in Frankreich, allerdings mit der Qualität einer Handykamera. “Still the most lyrical camera-phone imagery you’ve ever seen”, lobt Ian Freer [4]. Dankbar ist man dennoch, dass sie nach zwei Minuten verschwindet. Festgehalten wird das erste Verliebtsein zweier Figuren, die der Abspann als Neil (Ben Affleck) und Marina (Olga Kurylenko) identifiziert. Ob Zugabteil, Seinebrücke bei Sonnenuntergang oder in der Abtei Mont Saint-Michel auf der gleichnamigen Felseninsel in der Normandie – das junge Paar scheint verliebt. Zumindest Marina, wie sie im obligatorischen Voice-Over verrät. “In love”, flüstert sie darin beim Anblick eines Wandgemäldes. “Forever at peace.”

Mont Saint-Michel, auch „Wunder des Westens“ genannt, bildet hier die einleitende Versinnbildlichung dieser Liebe. Neil und Marina werfen sich romantische Blicke zu, spazieren während der Ebbe durch das die Felseninsel umgebende Wattenmeer. “We climbed the steps to the Wonder”, sagt Marina. Wo, wenn nicht hier, wann, wenn nicht jetzt kann Liebe greifbarer sein? Die aus Osteuropa stammende Frau fühlt sich wie neugeboren. “A spark. I fall into the flame”, berichtet sie. “You brought me out of the shadows. You lifted me from the ground. Brought me back to life.” Die Worte erinnern an Captain Smiths Ankunft in Malicks The New World [5]. “I was a dead man”, sagt dieser darin. “Now I live.”

Später wird die alleinerziehende Mutter einer zehnjährigen Tochter verraten, dass sie mit 17 Jahren bereits geheiratet hat, ihr untreuer Ehemann sie jedoch irgendwann mit dem Kind zurückließ. “I’d never hoped to love again”, beichtet sie stumm und verknüpft ihr Glück fortan direkt mit dem US-Amerikaner. “If you love me there’s nothing else I need”, sagt sie und packt bereitwillig mit Tochter Tatiana (Tatiana Chiline) ihre Sachen als Neil vorschlägt, sie sollen zu ihm nach Amerika ziehen. Das Glück kommt hier nicht in vermeintlich kleinen Dosen, sondern auf einen Schlag. Nichts würde sie dabei von Neil erwarten, versichert Marina: “Just to go a little of our way together”. Was ist die Liebe schon anderes?


Auch hierin findet sich ein wiederkehrendes Motiv in den Werken des Regisseurs. Schließlich sind alle Filme Malicks eine Einladung “to cherish those discrete packages of time that inevitably, come to an end” [6] [7]. Er selbst soll 1985 in Frankreich eine Französin geheiratet und mit sich nach Texas gebracht haben, ehe die Ehe 13 Jahre später zerbrach. So viel Zeit ist Marina und Neil in To the Wonder gar nicht erst vergönnt. Zwar ist die Faszination der beiden Französinnen in Bartlesville, Oklahoma zuerst groß, doch der Alltag holt die Patchwork-Familie schneller ein als ihnen lieb ist. “We need to leave”, schlussfolgert Tatiana dann nach einer halben (Film-)Stunde in der neuen Welt. “There’s something missing.”

In Marina und Neil prallen zwei unterschiedliche Typen Mensch aufeinander. Sie die lebensfroh Tanzende, er dagegen der nüchterne Beobachter [8]. “My sweet love”, darf Affleck eine seiner wenigen Monologzeilen aus dem Off sprechen. “My love. How I loved you.” Nur bemerken davon weder der Zuschauer noch Marina wirklich viel. “I know that strong feelings make you uneasy”, sagt sie über Neil. Der scheint mit ihrem Wunsch nach emotionaler Bestätigung so überfordert wie mit seinem Beruf als Umweltinspekteur [9]. In Bartlesville prüft er die Toxikologie des Bodens, der blei- und kadmiumhaltig ist. “Kids are acting strange”, beklagt ein Anwohner Teer in den Wänden und Affleck guckt unschlüssig zurück.

“Loves makes us one”, hatte Marina in Mont Saint-Michel beschwört. “Two. One. I in you. You in me.” Sinngemäß sprach so schon Pocahontas (Q’Orianka Kilcher) in The New World über sich und Captain Smith [10]. Nur wollte Neil an dieser Vereinigung nicht vollends partizipieren, Marina und Tatiana wiederum nicht am Leben im Mittleren Westen. Als ihr Visum abläuft, kehrt sie daher zurück nach Frankreich. Der gemeinsame Weg scheint zu Ende beschritten und Neil trifft in Jane (Rachel McAdams) eine alte Freundin aus Jugendtagen wieder. Ihr Schicksal ähnelt dem von Marina, nur dass ihre Tochter verstarb. Nochmals enttäuscht zu werden kann sich jedenfalls auch die verträumte Blondine nicht erlauben [11].


Jane scheint es wieder nach Bartlesville verschlagen zu haben, weil die Ranch ihres Vaters bankrott gegangen ist. Während sie und Neil sich erneut annähern, nimmt sie die Rolle von Marina ein. Sie will Neils Frau werden, glaubt den stummen und abwesend wirkenden Mann zu lieben wie die Französin vor ihr [12]. “I had no faith”, schwebt dessen Stimme später aus dem Off herein. “You knew.” Und auch Jane realisiert nach einer Viertelstunde Filmzeit: “What we had was nothing. (…) Pleasure. Lust”. So schnell wie sie kam, verschwindet sie wieder – und blieb doch länger als so manch andere Figur [13]. “All things work together for good”, habe Janes Vater stets gesagt. Bestätigen können es die Charaktere nicht.

Der Regisseur traf selbst nach seiner Scheidung von seiner französischen Frau seine Freundin aus Schulzeiten wieder und heiratete sie. In To the Wonder würfelt er dagegen die Schicksale neu aus. Marina wirkt in Frankreich noch verlorener, Tatiana zieht zu ihrem Vater und ihre Mutter will wider Erwarten doch zurück in die USA. Bevor sie zur Scheinehe mit einem Fremden kommt, geht Neil mit ihr zum Standesamt. “I want to be a wife”, so ihr Wunsch. Da sie in getrennten Betten schlafen, lässt es der Film in seiner zweiten Hälfte offen, ob das Paar seine ursprüngliche Liebe wieder neu entfacht oder ob beiden der Glaube fehlt, dass sie weiterhin jene Stufen zum Wunder beschreiten. Zum Wunder der wahren Liebe.

“What is this love that loves us?”, fragt Marina [14]. “That comes from nowhere. From all around.” Ähnlich zweiflerische Fragen stellt die dritte Hauptfigur in Malicks Film, der von Javier Bardem gespielte katholische Pater Quintana. “There is a love that is like a stream that goes dry when rain no longer feeds it”, sagt er in einer seiner Predigten. Aber es gäbe auch eine Liebe, die wie eine Quelle sei, die aus der Erde entspringt. “The first is human love, the second is divine love.” Und die habe ihren Ursprung im Himmel. Dennoch ist Quintana wie Marina ein ruhelos Suchender. Dürstend nach Bestätigung. “Intensely I seek you”, richtet er seine Worte an Gott. “My soul thirsts for you. (…) Will you be a stream that dries up?”


Gleichzeitig ähnelt der Priester in seiner zurückgezogenen Art und Weise Neil. Eines seiner Gemeindemitglieder will für ihn beten “because you’re so unhappy” und der Fensterputzer fragt ihn, ob er nicht einsam sei, wenn niemand um ihn herum ist. Quintanas Antwort würde wohl lauten: Er ist nie allein in Gottes Gesellschaft. Doch sein trauriger Blick verrät, dass dieser ihn lange nicht mehr besucht hat. “How long will you hide yourself?”, fragt er und meint wohl sich genauso wie Gott. “Let me come to you. Let me not pretend. Pretend to feelings I don’t have.” Angesichts der Not seiner Gemeinde stellt er die Theodizee-Frage: “Why do you turn your back? All I see is destruction. Failure. Ruin”.

Zugleich dient Quintana als einziger Ansprechpartner für Neil und Marina, die seiner Gemeinde angehören. Seine Gedanken und Predigten gehen mit dem Paar Bildsynergien ein, was der Priester über Spiritualität sagt, lässt sich in die Ehe der beiden lesen. Liebe sei nicht nur ein Gefühl, erklärt Quintana. “Love is a duty.” Man(n) muss seine Frau lieben wie Gott die Kirche liebt. “He doesn’t find her lovely, he makes her lovely”, so der Gottesmann zweideutig. Quintana ist dabei den Menschen näher als Gott. Voller Sehnsucht und Zweifel, wie Marina in ihrer Beziehung und Ehe. Neil hingegen ist als kryptischste aller Figuren fast eher Gott zuzuordnen. Das Objekt der Begierde, dem Marina später gar die Füße küsst.

“Love. Shall we deny it when it visits us?”, hatte sich Captain Smith in The New World gefragt [15]. Während sich Marina, Jane und Quintana nach der Bestätigung ihrer Liebe sehnen, ist Afflecks stoischer Umweltinspekteur ein Enigma. Motive verleihen ihm höchstens die anderen Figuren. Das einzige, was Jesus verdamme, predigt Quintana, sei das Vermeiden von Entscheidungen. “To choose is to commit yourself”, sagt er. “And to commit yourself is to run the risk (…) of failure, the risk of sin, the risk of betrayal.” Laut einigen Inhaltsangaben soll Neil ein gescheiterter Autor sein – wovon sich in To the Wonder natürlich nichts mehr findet. Außer eine Erklärung seiner Angst, sich an gewisse Dinge fest zu binden.


Es ist aber nachvollziehbar, dass sich mancher mit den skizzenhaften Charakteren schwer tun mag. Peter Travers “found it difficult to maintain interest in anyone” [16] und auch Pinkerton ist sich bewusst, dass die Figuren in Malicks Filmen Entscheidungen wie durch einen angeborenen Prozess treffen, “without reference to or explanation of why or how” [17]. Was Marina und Jane in Neil sehen, kann womöglich nur dadurch erklärt werden, dass dieser eine Projektionsfläche für ihre Sehnsucht nach Liebe darstellt. Am ehesten lässt sich noch mit Pater Quintana identifizieren und seiner Suche nach Gott. “Everywhere you’re present. And still I can’t see you”, klagt er. “I have no experience of you. Not as I once did.”

Die Frage nach Gottes Präsenz ist seit The Thin Red Line in den Werken Malicks verankert. Insofern ist Quintana auf seine Weise ein Stellvertreter des Regisseurs, der nach Pinkertons Mutmaßung in der Sonne seinen Gott ausgemacht hat [18]. Eine gewöhnliche Handlung oder Erzählstruktur – das dürfte Malick-Fans klar sein – darf man von To the Wonder nicht erwarten. Dieser ist “more about mood and moments than plot beats and character arcs”, resümiert Mottram und ergänzt: “this voiceover-driven tale feels so personal you almost feel guilty watching it” [19]. Da die Figuren kaum miteinander sprechen, sondern mit sich selbst und das Publikum diese Gedanken hört, hat Mottram gar nicht so unrecht.

Jedermanns Sache ist das nicht. Wo es in The Tree of Life zumindest noch kommunikative Interaktion innerhalb der Familie O’Brien gab, verlieren sich die Figuren dieses Mal völlig im Bilderrausch von Lubezki und Malick. To the Wonder sei “a beautifully empty exercise”, schreibt Travers, der im Vergleich The Tree of Life wirken lasse wie G.I. Joe: Retaliation [20]. Für McCarthy besteht der Film aus einer uneindeutigen Szene nach der anderen, “this mostly comes off (…) as visual doodling without focused thematic goals” [21]. Kerstin Decker kritisiert wiederum „ein Film ist kein Andachtsraum“ [22] und Anke Sterneborg sieht „nur noch eine diffuse Melancholie über die unerklärliche Flüchtigkeit des Glücks“ [23].


Für Brian Orndorf ist es ein wunderschöner Film, mit allen Stilmitteln und abstrakten Interessen von Malick, “yet it never comes alive as a human story” [24]. Selbst Pinkerton gesteht, dass es sich wohl um “Malick’s most nebolous and potentially most divisive film to date” handelt [25]. Die Evolution des Regisseurs ist problemlos an seiner Filmografie auszumachen. Folgte Badlands praktisch noch Wort für Wort dem Drehbuch, um von einem Cutter geschnitten zu werden, fand sich The Thin Red Line erst durch derer drei hinterher im Schneideraum [26]. In The New World waren es schließlich vier Cutter, bei The Tree of Life und nun To the Wonder sogar fünf. Der Fluss der Bilder steht über der „Handlung“.

Wer sich an eine Handlung klammern will, muss diese in den Bildern finden. Sie fangen das Watt während der Ebbe vor Mont Saint-Michel ein und deuten auf die bald über Marina und Neil hereinbrechende Flut hin. Später sehen wir die dunkelhaarige Französin auf einem Jahrmarkt vor Karussells und Achterbahnen – zu einer solchen wird sich auch ihre Beziehung zu Neil entwickeln. „So ungefähr funktionieren Erinnerungen“, schreibt Peter Zander [27]. „Oder Träume. Oder eben Malick-Filme.“ [28] Pinkerton meint, Malick filmt nicht Dinge, die hübsch seien, sondern sie würden hübsch, dadurch dass er sie filmt [29]. Und zumindest über die Schönheit von Lubezkis Bildern sind sich – wie immer – alle einig.

Passend dazu darf klassische Musik nicht fehlen, die hier unter anderem durch Rachmaninow, Schostakowitsch, Tschaikowski, Wagner, Haydn und Bach vertreten ist. “For better or for worse – perhaps for neither – the experience exists outside the fashions by which many of us perceive film”, schließt Tom Stoup [30]. Halfyard rät wiederum: “you will get out of the film what you bring into it” [31]. So träumerisch die erste Hälfte von To the Wonder ausfällt, so elegisch ist die zweite. Was zwischen Neil und Marina einst als – unausgewogene – Hingabe begann, scheint nun zur emotionalen Verzweiflung verkommen in einem Film “which is at heart about loving and not feeling that love returned” [32].


Mit der angekündigten „Ode an die Liebe“ hat der Film somit wenig gemein. Am Ende tragen alle Figuren ihre Suche nach Liebe, Erfüllung und Bestätigung weiter, der Film ist eher “a touching portrait of disillusionment, fading fervour and temptation” [33]. Der Ärger einiger Kritiker erklärt sich womöglich dadurch, dass die Handlung in der zweiten Filmhälfte noch diffuser wird. Neils Entscheidung für Marina und gegen Jane scheint eher aus einer Art Schuldigkeit geboren, ihre Beziehung und ihr Zusammenleben sind jedenfalls weniger greifbar als in den vergleichsweise teilhabenden ersten 50 Minuten. Oder hart ausgedrückt: To the Wonder hält mit den anderen Werken Malicks nicht vollends mit.

Das macht ihn natürlich keineswegs zu einem schlechten Film, im Gegenteil: “it’s still a brave, soul-stirring and sensitive work” [34]. Nur – und das ist vielleicht der größte Vorwurf, den man Terrence Malick machen kann oder sogar muss – ist der Film, wenn schon kein Nachsatz zu The Tree of Life und seinem bisherigen Œuvre, doch (zu) oft ein sich wiederholendes Echo früherer Gedanken des Regisseurs. Wie in allen seinen Filmen kommen Flussbette vor, wir sehen Büffel und Gänse wie in Days of Heaven und auch in seiner Philosophie über die Liebe scheint der Texaner sich in einer Sackgasse zu verfangen und lediglich das umzuformulieren, was er seit 15 Jahren über die Tonspur seiner Filme legt [35].

Insofern ist das Ergebnis im Falle von To the Wonder zwar immer noch ein lyrisches Filmpoem, nur eben kein sonderlich originelles. Vielleicht ist Terrence Malicks sechster Film gerade deshalb trotz seiner sperrigen Inszenierung für Nichtkenner seiner Filmografie ideal, da neu und ungewohnt. Der Regisseur selbst befindet sich dagegen wohl am Scheideweg, gerade angesichts dessen, dass in den kommenden Monaten gleich zwei weitere Spielfilme von ihm in den Kinos erscheinen. Allerdings sieht Malick womöglich das Leben auch wie Marinas italienische Freundin Anna (Romina Mondello). “Life’s a dream”, ruft diese aus. “And in a dream you can’t make mistakes.” In einem Jahr werden wir es wissen.



Quellenangaben:

[1] Kurt Loder ordnet den Film auch qualitativ derart ein, vgl. Kurt Loder: To the Wonder and Disconnect, in: Reason.com, 12.4.2013, http://reason.com/archives/2013/04/12/to-the-wonder-and-disconnect: “[The Tree of Life] really did instill a sense of wonder; this one is an afterthought”.
[2] vgl. James Mottram: To The Wonder Review, in: Total Film, 4.2.2013, http://www.totalfilm.com/reviews/cinema/to-the-wonder: “it’s a shock to see him back so swiftly (…) given that the minimum amount of time the distinguished director has taken to make a new movie in the past has been five years”.
[3] Halfyard schreibt vollkommen korrekt: “those unwilling to surrender to his sensual, tactile and languorous method of storytelling are sure to find his storytelling infuriating, even as the narrative in this film is pretty straightforward”, vgl. Kurt Halfyard: TIFF 2012 Review: To the Wonder, in: Row Three, 12.9.2012, http://www.rowthree.com/2012/09/12/61859/.
[4] vgl. Ian Freer: To The Wonder Review, in: Empire.com, o.J., http://www.empireonline.com/reviews/reviewcomplete.asp?FID=137997.
[5] Eine ähnliche Szene gibt es in Days of Heaven, wenn der für todkrank gehaltene Farmer (Sam Shepard) angesichts der Ehe mit Abby resümiert: “You make me feel like I’ve come back to life”.
[6] s. Halfyard, Internet.
[7] Die Endlichkeit ihrer Beziehung kommentierte auch Holly (Sissy Spacek) in Malicks Debütfilm Badlands: “Our time with each other was limited, and each lived for the precious hours when he or she could be with the other”.
[8] Todd McCarthy nennt Afflecks Figur “so remote that he’s essentially a noncharacter in his own drama”, vgl. Todd McCarthy: To the Wonder. Venice Review, in: The Hollywood Reporter, 2.9. 2012, http://www.hollywoodreporter.com/movie/wonder/review/367295.
[9] Seine Berufswahl erinnert an den Karrierewunsch von Linda aus Days of Heaven, die “mud doctor” werden wollte, “checking out the earth underneath”.
[10] “Two no more. One. One. I am”, s. The New World. Auch Sergeant Bell (Ben Chaplin) liefert in The Thin Red Line ähnliche Gedanken: “We. We together. One being. Flow together like water”.
[11] Hier ist es nun Jane, die Pocahontas ähnelt, die nach ihrer unglücklich verlaufenen Romanze mit Smith hinsichtlich John Rolfe (Christian Bale) ebenfalls beschloss: “Once false I must not be again”, ebd.
[12] Beide Beziehungsdarstellungen besitzen “the same paradoxical combination of intimacy and distance”, schreibt Pinkerton. “Implicit in the line: ‘I feel so close to you that I could almost touch you.’”, vgl. Nick Pinkerton: Film of the week. To the Wonder, in: BFI, 22.2.2013, http://www.bfi.org.uk/news-opinion/sight-sound-magazine/reviews-recommendations/film-week-wonder.
[13] Ursprünglich hatte Malick noch Szenen mit namhaften Hollywood-Stars wie Jessica Chastain und Rachel Weisz gedreht. “Reports have it that entire performances – Barry Pepper, Michael Sheen, Amanda Peet – disappeared on the virtual cutting-room floor”, vgl. Pinkerton, Internet.
[14] Ähnlich wie Sgt. Bell in The Thin Red Line: “Where does it come from? Who lit this flame in us?”
[15] Man rufe sich zudem den Dialog zwischen Abby und Bill aus Days of Heaven in Erinnerung. Bill: “I’ve never wanted to fall in love with you.” – Abby: “Nobody asked you to.”
[16] s. Peter Travers: To the Wonder, in: Rolling Stone, 20.4.2013, http://www.rollingstone.com/movies/reviews/to-the-wonder-20130410.
[17] s. Pinkerton, Internet.
[18] ebd. Für Pinkerton evident durch Malicks Hingabe, zur “magic hour” zu drehen: “the manifestation of Malick’s deeply personal conviction (…) that the sun is God”.
[19] s. Mottram, Internet.
[20] s. Travers, Internet.
[21] s. McCarthy, Internet.
[22] s. Kerstin Decker: Philosophisches Kino. Gottes Beleuchtung, in: Der Tagesspiegel, 29.5.2013, http://www.tagesspiegel.de/kultur/philosophisches-kino-gottes-beleuchtung/8273142.html.
[23] s. Anke Sterneborg: Keiner blickt auf Frauen so zärtlich wie Malick, in: Welt.de, 30.5.2013, http://www.welt.de/kultur/kino/article116638256/Keiner-blickt-auf-Frauen-so-zaertlich-wie-Malick.html.
[24] s. Brian Orndorf: To the Wonder, in: Blu-ray.com, 13.4.2013, http://www.blu-ray.com/To-the-Wonder/168889/?show=preview.
[25] s. Pinkerton, Internet.
[26] Und die ursprüngliche Hauptrolle von Adrien Brody (Pvt, Fife) verkam zur Randfigur und Nebenrolle.
[27] s. Peter Zander: Ein filmisches Hohelied auf die Liebe, in: Berliner Morgenpost, 29.5.2013, http://www.morgenpost.de/kultur/berlin-kultur/article116611422/Ein-filmisches-Hohelied-auf-die-Liebe.html.
[28] ebd.
[29] vgl. Pinkerton, Internet.
[30] s. Tom Stoup: TIFF 2012. ‘To the Wonder’ exists outside the perception of cinema, in: Sight on Sound, 11.9.2012, http://www.soundonsight.org/tiff-2012-to-the-wonder-exists-outside-the-perception-of-cinema/.
[31] s. Halfyard, Internet.
[32] s. Pinkerton, Internet.
[33] s. Freer, Internet.
[34] s. Mottram, Internet.
[35] vgl. hierzu [5], [7], [9] bis [11] und [14].

Szenenbilder To the Wonder © Studiocanal GmbH Filmverleih.

The crime of the century

Das einzige was noch schlimmer ist als im Gefängnis zu sitzen, ist wohl, des verurteilten Verbrechens unschuldig zu sein. Andy Dufresne verbrachte in The Shawshank Redemption fast zwei Jahrzehnte unschuldig hinter Gittern, ehe er die Flucht ergriff. Ganz legal ihres Verbrechens wurden dagegen vor zehn Jahren die fünf Männer freigesprochen, die 1989 als “Central Park Five” bekannt wurden. Als Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sollen sie am Mittwoch, dem 19. April 1989, die damals 28-jährige Investmentbankerin Trisha Meili beim Joggen im Central Park von New York City schwer körperlich verletzt und vergewaltigt haben. Ein Jahr später wurden sie verurteilt – obwohl alle fünf von ihnen unschuldig waren.

Der Dokumentarfilmer Ken Burns widmete sich in The Central Park Five im vergangenen Jahr mit seiner Tochter Sarah Burns und ihrem Mann David McMahon jenem Fall, der 1989 für enormes Aufsehen gesorgt hatte. “A lot of people didn’t do their job”, blickt zu Beginn Jim Dwyer von der New York Times kritisch zurück. Und nimmt dabei auch sich und die Medien nicht von der Kritik aus. In einer Zeit hoher Kriminalität und Rassenspannungen in New York habe das Verbrechen an Meili, damals nur als „Joggerin“ bekannt, für Druck auf die Ermittler gesorgt. Derart hohen Druck, dass sie bereitwillig vier afroamerikanische und einen hispanischen Jugendlichen zu Geständnissen des Verbrechens nötigten.

Ende der 1980er Jahre war New York City laut dem renommierten Bürgerrechtler Al Sharpton “the capital of racial violence”. Einige Jahre zuvor hatte Crack den Big Apple erreicht und die Kriminalitätsrate hochschnellen lassen. New York City wurde “a completely schizophrenic, divided city”, so Dwyer. Der damalige Governeur Mario Cuomo ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen: “None of us is safe”. Überfälle standen an der Tagesordnung, die meisten Bürger meldeten sie nicht einmal mehr der Polizei. Am Mittwochabend des 19. Aprils 1989 zog eine Gruppe von rund 30 Jugendlichen durch den Central Park, attackierte Obdachlose und belästigte andere Besucher. “Wilding” nannten die Teenager diese Aktionen.


Unter den Jugendlichen waren auch Antron McCray, Raymond Santana, Kevin Richardson, Yusef Salaam und Korey Wise – jene fünf Teenager, denen man wenige Stunden später die schwere Körperverletzung und Vergewaltigung der Joggerin vorwerfen würde. Über mehrere Stunden wurden die Jugendlichen auf der Wache gehalten. Wegen des Angriffs auf den Obdachlosen, so ihre Vermutung. Stattdessen warfen ihnen die Polizeibeamten die Tat an der Joggerin vor und stellten in Aussicht, sie könnten nach Hause gehen, wenn sie den Vorfall gestehen. Anschließend beschuldigten sich die Teenager gegenseitig – und widersprachen sich folglich nicht nur hinsichtlich des Tathergangs, sondern auch der Fakten.

“If he’d have given me a hundred names”, erzählt Raymond Santana, “I’d have put a hundred people at the crime scene”. Als er Jahrzehnte später sein damaliges Geständnis vorliest, kann er angesichts der Formulierungen nur mit dem Kopf schütteln. “A 14 year old boy doesn’t talk like this.” Doch die Ermittler wollten den Fall schnell klären, eine Vergewaltigung einer weißen Bürgerin durch farbige Teenager, die beinahe in Totschlag endete, erregte zu viel Aufhebens. “It was the crime of the century”, erinnert sich der damalige Bürgermeister von New York, Ed Koch. “Central Park was holy”, so das Ex-Stadtoberhaupt. Dwyer schätzt, es gab Ende der Achtziger “probably six murders a day”. Aber keinen Vorfall wie diesen.

Von den 5.242 Vergewaltigungen die 1989 in New York gemeldet wurden, erhielt keine so viel Aufmerksamkeit wie die von Trisha Meili. Wie sich herausstellte, waren die fünf Jugendlichen schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort – und von der falschen Hautfarbe. Ein Jahr später führten die Suggestivgeständnisse zu ihrer Verurteilung, andere Beweise für ihre Schuld gab es nicht. Infolgedessen saßen die meisten von ihnen rund sieben Jahre im Jugendgefängnis, der Älteste, Korey Wise, aufgrund seiner 16 Jahre zur Tatzeit sogar fast zwölf Jahre bei den Erwachsenen. “My faith was gone”, beschreibt Santana, der nach seiner Entlassung auf die schiefe Bahn geriet, mit Drogen handelte und erneut verurteilt wurde.


Dass die fünf Jugendlichen seiner Zeit verhaftet und verurteilt wurden kann als Folge von unglücklichen Umständen und nachlässiger Arbeit gesehen werden. Damit sie nicht zu viel Lärm machten, schickte Santanas Vater die Jugendlichen an jenem Abend in den Central Park. “I feel guilt for it”, gesteht Raymond Santana Sr. mit Tränen in den Augen. Obschon er nicht wissen konnte, was sich wenige Stunden später ereignen würde, fühlt er sich verantwortlich. Hätte die Gruppe an jenem Abend auf das “wilding” verzichtet – nach eigenen Angaben waren McCray, Santana, Richardson, Wise und Salaam bei diesem lediglich Zuschauer –, wären die Teenager anschließend nicht verhaftet und somit verdächtigt worden.

Auf der anderen Seite standen nun die Ermittler, konfrontiert mit einer Vergewaltigung und wahrscheinlichen Tötung. Denn als Meili gefunden wurde, hatte sie 75% ihres Blutes verloren, die Ärzte konnten sich nicht erklären, wie sie noch am Leben war. “She was virtually dead”, sagt Dwyer. Ein derartiges Verbrechen, auch noch verübt im Central Park, in einer Stadt mit Rassenunruhen und hoher Kriminalitätsrate – wer schon mal Polizeiserien wie The Shield gesehen hat, dürfte erahnen, unter welchem Druck die Ermittler in einem solchen Fall stehen. Und dass auch mal Fälle abgeschlossen werden, wenn sie sich abschließen lassen. Selbst wenn nicht alle Fragen dazu passende Antworten erhielten.

Das Handeln der Ermittler und Staatsanwaltschaft im Fall der Central Park Five entschuldigt dies natürlich keineswegs. Dass sich die Geständnisse widersprechen, dürfte sich nicht erst 2003 gezeigt haben. Allerdings – und Dwyer hatte dies bereits selbst eingestanden – waren auch die Medien, Bürger und eigentlich alle, abgesehen von den Familienmitgliedern der Verdächtigen, nicht unschuldig in der Vorverurteilung der Jugendlichen. Die Macht der Masse zeigt sich selten so gut, wie im Fall von The Central Park Five. So war Yusef Salaam der einzige der fünf Teenager, der selbst kein Geständnis abgelegt hat – und dennoch waren die Beschuldigungen der übrigen vier ausreichend gewesen für seine Verurteilung.


Entgegen des recht reißerisch und temporeicher wirkenden Trailers ist die Rekapitulation der Ermittlungen und Verurteilungen der fünf Jugendlichen von Ken Burns eine relativ nüchterne Angelegenheit. Historiker und Soziologen geben nebst Jim Dwyer und anderen Journalisten ebenso Einblicke in den Fall und die damalige Lage der Stadt, wie es vier der fünf Teenager – inzwischen natürlich Männer – bezüglich ihrer Erlebnisse tun. Antron McCray verzichtete aus Gründen der Anonymität darauf, gefilmt zu werden und ist lediglich aus dem Off zu hören. Besonnen und teils emotional wird der Ereignisablauf aufgerollt und nachverfolgt; allerdings erst, nachdem zu Beginn die Unschuld der Fünf etabliert wurde.

Nach ihrem Freispruch hatten diese wiederum eine Klage bei der Stadt New York City eingereicht, die allerdings bis heute nicht vor Gericht verhandelt wurde. Ob sie eine finanzielle Entschädigung erhalten, dürfte zweifelhaft sein. Ihre sieben bzw. elfeinhalb Jahre werden die Central Park Five jedenfalls nie wieder kriegen, ähnlich wie die West Memphis Three. Drei unschuldige Jugendliche aus West Memphis, Arkansas und Protagonisten der Paradise Lost-Trilogie sowie West of Memphis, die 2011 nach 18 Jahren Haft freikamen. Einem Artikel von Liz Webster in The Nation zufolge sind womöglich sechs Prozent aller inhaftierten US-Amerikaner unschuldig – was immerhin über 130 000 Insassen entspräche.

Insofern führt The Central Park Five sehr gut vor Augen, wie mangelhaft die Justiz im Allgemeinen sowie die der USA im Speziellen arbeitet. Zugleich stellt die Dokumentation eine gelungene Zeitreise in die Vergangenheit dar, als die Kriminalität in New York und die Rassenproblematik in den Großstädten – die Unruhen in Los Angeles waren nur drei Jahre später – größer war. Angesichts der Fälle um die West Memphis Three und Central Park Five stellt sich natürlich die Frage, wie viele Häftlinge lediglich aufgrund von Vorverurteilung im Gefängnis sitzen und tatsächlich unschuldig sind. Die Unschuldsvermutung (“innocent until proven guilty”) ist also in vielen Fällen leider ziemlich weit gefasst.


Szenenbilder aus The Central Park Five © PBS International. All Rights Reserved.