É Cosa Una Vibration


Kaum einem Regisseur gelang derart gekonnt der Blick auf die High Society wie Federico Fellini, kulminierend in seinem Meisterwerk La dolce vita. Darin schlawenzelt Marcello Mastroianni als Klatschreporter in Episoden durch Roms Hautevolee, hier und dort Affären mitnehmend und sich letztlich im Dschungel der Großstadt in sich selbst verlierend. Fellinis Landmann Paolo Sorrentino schickte sich mit La grande bellezza an, eine Hommage an seinen italienischen Kollegen zu erschaffen, die nicht nur dank der musikalischen Untermalung von Zbigniew Preisner zudem an die jüngsten Filme von Terrence Malick erinnert. Und ein Film, der Fellini und Malick vereint, kann nur eine große Schönheit sein.

Hier spielt Toni Servillo den Kolumnisten und Schriftsteller Jep Gambardella, der zu Beginn des Films in einer Geburtstagsfeier, die beinahe Gatsby’sche Ausmaße erfährt, sein 65. Lebensjahr begeht. Innerhalb des Films wandert Jep von einer Party zur nächsten, wenn er nicht gerade seinen engsten Freundeskreis auf seiner Terrasse – mit Blick aufs Kolosseum – empfängt oder sich mit jüngeren Frauen verlustiert. Erschüttert wird Jeps “dolce vita” durch die Nachricht, dass Elisa, jene Frau, die ihn vor Jahrzehnten entjungfert hat, verstorben ist. Nun verstärkt über sein Leben, die Liebe und jene Nacht mit Elisa reflektierend, avanciert Jep selbst mehr und mehr zu einer dieser verlorenen Figuren im Nachtleben von Rom.


Dies wiederum geschieht in kleineren Episoden, die jedoch harmonischer als bei Fellinis Magnum Opus ineinanderfließen. Wieder und wieder kehrt die Handlung jedoch zu Jeps Clique zurück, eine illustre Gesellschaft vermeintlich Gescheiterter. So wie Romano (Carlo Verdone), der verzweifelt eine Schauspielerin zu beeindrucken versucht, indem er ein Theaterstück auf die Bühne bringt. Oder Stefania (Galatea Ranzi), eine Autorin, die inzwischen für Dokutainment-Programme schreibt und die Erziehung ihrer Kinder ihren Angestellten überlässt. Jep selbst, der vor langer Zeit einen Roman schrieb, auf den jedoch nie ein Nachfolger folgte, nimmt sich aus dieser Gruppe Gescheiterter nicht aus.

“We are all on the brink of despair”, klärt er Stefania bei einem demaskierend ehrlichen Terrassen-Gespräch auf. Jep selbst blickt hinter den Mummenschanz der Hautevolee – übt ihn jedoch zugleich genüsslich aus. Beispielsweise als später eine Figur stirbt und Jep ihre Beerdigung zur eigenen sozialen Selbstdarstellung missbraucht – was scheinbar selbst an ihm daraufhin nicht spurlos vorbeigeht. In dieser Gesellschaft der High Society sticht die Stärke von La grande bellezza zumeist heraus. So auch als Jep eine Performance-Künstlerin interviewt, die von Vibrationen spricht, diese jedoch nicht erklären kann. Eine aufgesetzte Intellektualität, die Jep auch in seinem Freundeskreis genüsslich dekonstruiert.


Aber wer ernst genommen werden will, muss sich selbst ernst nehmen – so sagt es Jep jedenfalls Romano. Für den Kolumnisten allerdings keine Option und das obschon er von sich sagt, er sei “destined for sensibility”. Einfühlsamkeit und Absurdität liegen bei Sorrentino hier jedoch nah beieinander. “The best people in Rome are the tourists”, ätzt Jep in einer Szene abschätzig. Wie passend, dass der Film mit einer solchen Gruppe japanischer Besucher begann, von denen einer dann urplötzlich tot zusammenbricht. Überwältigt von Roms verkapitalisierter Kultur? Umso passender der kurz darauf folgende Schwenk zu Jeps exaltierter Geburtstagsfeier, die uns erstmals einige der Protagonisten präsentiert.

Diese fühlen sich nicht von ungefähr wie vergessene Charaktere der Fellini-Ära an. “The old is better than the new”, heißt es an einer Stelle trefflich. Sie alle sehnen sich nach einer verblichenen Zeit zurück, perfekt eingefangen in einem Episodenabschluss gegen Ende, wenn der Graf und die Gräfin Colonna inzwischen ärmlich unter ihrer alter Wohnung hausen, die zum Museum über ihre Familie umfunktioniert wurde. Das Ehepaar Colonna hält sich nun mit gelegentlichen Auftritten bei Dinner-Partys über Wasser – notfalls auch als Familienmitglieder eines Clans ausgebend, mit dem man Jahrhunderte lang verfeindet war. Sie haben wie auch die anderen Figuren den Wandel der Zeit nicht überstanden.


Mal mehr, mal weniger deutlich zitiert Sorrentino dabei Fellini. Zum Beispiel wenn Jep einen abendlichen Spaziergang mit seiner neuen Bekanntschaft Orietta (Isabella Ferrari) macht und dabei an einen Dialog zwischen Marcello Mastroianni und Anouk Aimée aus La dolce vita erinnert. Welcher Arbeit sie nachgehe, will der Schriftsteller wissen. “Me? I’m rich”, entgegnet Orietta. “Great job”, erwidert Jep. Ähnlich zitatenreich gerät ein späterer Ausflug während einer Party mit der Stripperin Ramona (Sabrina Ferilli) in verschiedene Kunstgemächer der Stadt, inklusive einem Zwischenstopp bei einem Kartenspiel dreier Prinzessinnen. Oder die finale Ankunft einer 104-jährigen Ordensschwester à la Mutter Theresa.

Der Humor schwingt dabei subtil zwischen den Zeilen mit, darunter wenn ein junges Mädchen, allem Anschein nach ein Kunstprotegé, auf einer Party von seinen Eltern genötigt wird, live ein Kunstwerk zu erschaffen. Sind die Figuren und die Handlung hierbei Fellini entlehnt, erinnert Preisners Musik, aber auch die Kameraarbeit von Luca Bigazzi an Terrence Malick. Die visuelle Begleitung einer Nonne, die im Garten mit Kindern spielt und direkt von Jep auf seiner Terrasse überblickt wird, erhält so ihre ganz eigene Magie. Audiovisuell ist La grande bellezza somit nicht weniger ein Genuss als narrativ, selbst wenn sich in der zweiten Hälfte bei fast zweieinhalb Stunden Laufzeit leichte Längen zeigen.


Immer wieder dringt dabei die Erinnerung an Elisa (Anna Luisa Capasa) herbei, die laut ihrem Mann in ihren Tagebüchern stets nur von Jep sprach – und das, obwohl beide damals lediglich eine Affäre miteinander hatten. Vielmehr stellt Elisa als personifizierte “grande bellezza” ein Fenster in die Vergangenheit dar, in jene verblichene Zeit, der die Figuren – darunter auch Jep – nachtrauern. Exemplarisch fängt Sorrentino dies auch in einer Szene ein, als Jeps Chefredakteurin Dadina (Giovanna Vignola) ihn als ‘Geppino’ anspricht, was diesen fast zu Tränen rührt. Umso beeindruckender ist da natürlich Ordensschwester Maria (Sonia Gessner), die mit ihren 104 Lebensjahren jedem Wandel der Zeit zu trotzen scheint.

“Things are too complicated to be understood by one individual”, heißt es an einer Stelle. Auch Jep scheint dies im Verlauf des Films zu realisieren, wenn unter anderem Giraffen vor seinen Augen verschwinden und sich sein Nachbar als jemand ganz anderes entpuppt als von dem Kolumnisten geahnt. Federico Fellini sagte einst: “It’s not what we say but how we say it that matters”. Mit La grande bellezza gelang Landsmann und Kollege Paolo Sorrentino sowohl eine “omaggio bellissima” zum Œuvre Fellinis wie zugleich eine “omaggio alla bellissima”. Und so ist sein Film vielleicht der kunstvollste des Jahres, auf jeden Fall jedoch einer seiner besten und unterhaltsamsten. Einfach eine große Schönheit.


Szenenbilder “La grande bellezza” © DCM Film Distribution. All rights reserved.