The Death of the Light


„Ist’s nicht möglich, daß dieser Kelch an mir vorübergehe, ohne daß ich ihn trinke“
, fragt Jesus im Garten Gethsemane am Abend seiner Gefangennahme [1]. Er weiß, was kommt, was ihn erwartet. Als Folge seiner Handlungen und Positionen. Ähnlich ergeht es Franz Jägerstätter (August Diehl) in Terrence Malicks jüngstem Film A Hidden Life. Dessen gesamter zweiter Akt schickt sich im Grunde an, ein Abwägen und Arrangieren seiner Hauptfigur mit ihrer Moral und dem damit verbundenen Schicksal zu sein. “An exercise in dread” [2], ein Hinarbeiten auf das Unausweichliche, dem die Geschichte schließlich ihren Ausgang vorweggenommen hat, wurde Jägerstätter doch am 9. August 1943 von den Nationalsozialisten wegen Zersetzung der Wehrkraft hingerichtet. 

Franz Jägerstätters Geschichte ist eine besondere – die eines Mannes, der sich im Zweiten Weltkrieg weigerte, einen Eid auf Adolf Hitler zu schwören und für dessen Armee in den Krieg zu ziehen. Aus religiösen Gründen, was letztlich aber irrelevant ist – zumindest wenn es um eine filmische Aufarbeitung durch einen Poet-Philosophen wie Terrence Malick geht. In dessen Kino verkommt Jägerstätter weniger zu dem Seligen, zu dem ihn die Katholische Kirche im Jahr 2007 ernannt hat [3], sondern zur klassischen Malick-Figur des Verlorenen, Ruhelosen, auf der Suche nach einem Ausweg aus seinem existenziellen Dilemma. Zugleich dient A Hidden Life wie so oft beim Texaner zum Grübeln, wo wir mit unserer Gesellschaft stehen, wo wir herkommen und wo wir als Zivilisation eigentlich hinwollen.

Über weite Strecken wirkt A Hidden Life wie eine Dublette von Malicks größtem Meisterwerk The Thin Red Line. Was Jägerstätter hier ist, verkörperte Private Witt (James Caviezel) dort. Das personifizierte Gute, dem das Fundament entrissen wird, als ihn der Strudel der menschlichen Gewalt gegen die Natur und den Urzustand packt. Ähnlich wie Witt hat auch Jägerstätter zu Beginn der Handlung augenscheinlich sein Paradies bereits gefunden, lebt ein zufriedenes Familienleben mit Ehefrau Fani (Valerie Pachner) und ihren drei Töchtern im beschaulichen österreichischen Sankt Radegund auf ihrem Bauernhof. Ehe diesem privaten Garten Eden der Beginn und Verlauf des Zweiten Weltkriegs und der Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich plötzlich ein Ende bereiten.


Wo Witt sich durchaus als Soldat sieht und seine Einheit als Familie, ist Jägerstätter aus seinem Element gerissen, kann mit der Wehrmacht als solcher und Hitlers Agenda prinzipiell nichts anfangen. “What’s happened to our country?”, fragt er, als er den Wahn der Nazi-Propaganda sich in seinem Dorf Bahn brechen sieht. “The mask is off”, sagt der Dorf-Müller (Johannes Krisch) – und könnte einerseits über Hitler selbst sprechen, andererseits über seine Anhänger und deren ungeahnten Ressentiments. “Don’t they know evil when they see it?”, meint der Müller, während er und Jägerstätter beobachtend am Rande stehen. “This great evil. Where does it come from?”, hinterfragte Private Train in The Thin Red Line. “How did we lose the good that was given us?”

Einen weiteren moralischen Gleichgesinnten findet Jägerstätter in seinem Schwiegervater (Ulrich Matthes). “Is this the death of the light?”, wirft dieser in den Raum. Unterdessen verweigert sich Jägerstätter dem Hitler-Gruss („Pfui Hitler!“, entgegnet er an einer Stelle), genauso wie einer Geldspende für Kriegsveteranen. Was auch in seinem Dorf nicht gut ankommt, nicht zuletzt, weil es ein schlechtes Licht auf dessen Bewohner als Ganzes wirft. “You are worse than them”, wirft ihm der Bürgermeister (Karl Markovics) an den Kopf – wobei interessanter Weise nicht klar wird, wen er damit meint: die Feinde des Deutschen Reichs oder die Nazis. Der Bürgermeister und alle anderen machen letztlich, was Jägerstätter nicht kann: Ihre Ideale verraten, des Überlebens Willen.

Es ist eine eigene Form des Widerstands, gänzlich nicht-aggressiv und dadurch womöglich noch sehr viel verletzender. “He makes a choice for you, too”, erinnert Fanis Schwester Resie (Maria Simon) diese. Und auch der lokale Priester Fürthauer (Tobias Moretti) weist Jägerstätter auf die Folgen seines Tuns für seine Familie hin. Diese wird in Kollektivschuld genommen, geächtet, beleidigt, bestohlen. Das Zureden mehrerer Beteiligter auf Jägerstätter erinnert ebenfalls wieder an The Thin Red Line. “What difference do you think you can make? One single man in all this madness”, will Sergeant Welsh dort von Witt wissen. Darin liegt im Prinzip die Quintessenz: Der Unterschied des Handelns hat keine Auswirkungen auf das Umfeld der Figur, aber doch für diese selbst.


Schaut man sich die Rezeption von A Hidden Life an, wird beim Blick auf wenig gönnerhafte Rezensionen schnell klar, was der Hauptkritikpunkt zu sein scheint: die fehlende Vertiefung von Jägerstätters letztlicher Entscheidungsfindung. “Malick doesn’t really articulate Jägerstätter’s moral realization”, bemängelt Dowd da [4]. Vielmehr “yada-yada-yadas right through its protagonist’s moment of clarity” [5]. Die Beweggründe für das Handeln der Figur würden „eher angedeutet als plausibel dargelegt“, erscheinen „so eher fühl- als begreifbar“ [6]. McCarthy sieht in der fehlenden Dramatisierung des Innenlebens und der Realisierung dann vor allem eine verpasste Chance, “an empty plate where a significant moral, religious and intellectual meal was available for the taking” [7].

Für Steinitz eine „provozierende[n] Nicht-Entwicklung seiner Hauptfigur“ [8]. Malick „interessiert sich weniger für die dramatischen Wendepunkte einer Geschichte als für den Fluss der Zeit, in dem seine Protagonisten ihre Entscheidungen treffen“ [9]. Es wird offensichtlich, dass sich manche Kritiker eher eine klassische Biografie erhofft hatten, eine historische Aufarbeitung, ein staubiges Nazi-Drama, wie es der deutsche Film seit Jahrzehnten zu seiner Pflichtaufgabe gemacht hat. Aber Malick, ähnlich wie Jägerstätter, bleibt sich und seinen Prinzipien treu, “characteristically omits the major decisions that lead Franz to his fate, choosing instead to focus on the soul-searching that guides his decisions, and the anguish that they cause”, wie Ehrlich kommentiert [10].

A Hidden Life dreht sich weniger um die Person Franz Jägerstätter, wie auch seine übrigen Filme sich nie um einzelne Protagonisten drehen, sondern einen Zustand. Es geht ihm nicht um das Individuelle, sondern das Universelle. Den Figuren mangelt es an Charakterisierung “not because they are passive or empty, but because we are meant to view them as one with the world around them. Their struggles are the struggles of the world” [11]. Dass Malick „derart drastisch verkürzt und strafft, zuspitzt und weglässt, dass der Film an der historischen Person nur insofern Interesse hat, wie weit sie sich seinem ästhetischen Wollen und seinem Weltbild unterwirft“ [12] markiert also die Handschrift des Regisseurs. Jägerstätter steht exemplarisch, gerät aber dabei nicht zum Exempel.


Das historische Dilemma der Figur dient Malick damit eben als Mittel zum Zweck wie zuvor der Pocahontas-Mythos in The New World. Ziel ist nicht eine möglichst authentische Aufarbeitung der Geschichte, sonder mittels einer geschichtlichen Grundlage eine Aussage über das Allgemeine. Dies auf die für den Regisseur typische Weise, obschon ihm zumindest positiv zugeschrieben wurde, dass A Hidden Life wieder narrativ linearer geraten ist als seine jüngsten Werke [13]. Für generelle Kritiker seines Schaffens aber scheint auch das zu wenig. Die einen sehen folglich lediglich “three hours of digressive meanderings” [14], eines frommen Mannes “standing his moral ground” [15], andere erachten den Film unterdessen als “ponderous and dull (…) that general navel-gazing trend” [16].

Ähnlich wie Malick Repetition vorgeworfen wird [17], ist dieser Vorwurf mit den Jahren und seinen avantgardistischen Werken wie Knight of Cups und Song to Song repetitiv. Dowd stört sich an “improvised memory poems” und einem weiteren “whispery ballet of nature” [18], Bach an „möchtegern-erhabenen Aufnahmen“ sowie der „pseudophilosophische[n] Prätention“ und dem „erschöpfende[n] Panorama-Pathos“ des Films [19]. Es ist keine neue [20] und auch keine lauter werdende Kritik [21], selbst wenn Zacharek, ohnehin kein Fan des Regisseurs [22], auszumachen glaubt, dass “Malick no longer receives near-universal hosannas, which is probably for the best” [23]. Zugleich auch kein Œuvre-Best-of des texanischen Auteurs, als das es Zoller Seitz erachtet [24].

Eher hält sich Terrence Malick noch zurück, reduziert dieses Mal die Zahl der aus dem Off gesprochenen Monologe und Sinnfragen an Gott und die Welt. Vielmehr ist A Hidden Life letztlich eine Spur zu linear, zu strukturiert, um seine ganze Kraft zu entfalten, die in ihm und der Geschichte steckt. Der Vorwurf müsste folglich also lauten, dass sich Malick zu sehr an der Historie um Jägerstätter festklammert, als dass er ihr nicht vollends gerecht werde. Im Kern ist es zwar immer noch derselbe Film, den er in Variationen neu erzählt, “a gorgeously expansive cinematic poem that is forever carving out fresh emotional tributaries” [25], aber dabei doch zu sehr an der Oberfläche – weniger der Geschichte, wie McCarthy kritisiert [26], sondern der zu gewöhnlichen Form ihrer Inszenierung.


Wie Franz Jägerstätter zu seiner Entscheidung kam, ist dabei an sich hinlänglich und nicht relevant; die Frage selbst demaskierend angesichts dessen, dem er sich widersetzt (“Don’t they know evil when they see it?”, fasste es der Müller zusammen). A Hidden Life dreht sich nicht darum, wie ein Mensch sich zu Jägerstätters Beschluss des Widerstands ringt, sondern die Akzeptanz dieser Entscheidung sowohl seitens der Figur als auch ihrer Umwelt. Letztere wird in verschiedenen Figuren dargestellt, seien es Geistliche wie Fürthauer und Bischof Fließer (Mikael Nyqvist) oder Bürokraten wie Jägerstätters Strafverteidiger Feldmann (Alexander Fehling) und der von Bruno Ganz verkörperte Richter Lueben, der am Ende das Todesurteil über Jägerstätter sprechen muss.

Wenn El-Bira schreibt, dass die Figur anders als die meisten anderen des Regisseurs in diesem Fall kein Suchender (mehr) sei, „sondern einer, der den Sinn längst gefunden hat“ [27], dann stimmt das insofern, als dass Jägerstätter eine der wenigen Charaktere Malicks mit Liebesglück ist. Wo die anderen Figuren seine Entscheidung nicht nachvollziehen können, ist dies bei Fani kein Problem. Sie trägt den Beschluss ihres Mannes mit, beide Figuren wirken immer eins, repräsentativ von Kameramann Jörg Widmer – der hier nach vielen Jahren Emmanuel Lubezki ablöst – eingefangen, wenn Franz und Fani synchron auf dem Feld mit der Sense das Getreide ernten. “How simple life was then”, reflektiert Fani in einer Szene das vergangene Glück, das die Realität eingeholt hat.

Selbst wenn Tallerico und Ehrlich dies anders sehen mögen [28] [29], und obschon Jägerstätter seinen Widerstand mit seinem Glauben rechtfertigt, ist A Hidden Life wie Malicks übrigen Filme kein allzu religiöser, aber deswegen auch nicht enttheologisiert, wie McCarthy meint [30]. Gott und Glaube sind identisch mit dem Streben, das allen seinen Figuren innewohnt. Es geht ihm weniger um Religion, sondern um “the disruption of the natural world caused by man’s cruelty” [31]. “Better to suffer in injustice than to do it”, sinniert Jägerstätters Schwiegervater, während Fani an “the triumph of the good” appelliert. Wenn Bischof Fließer zu Jägerstätter sagt “the anvil outlives the hammer”, kann Jägerstätter also auch genauso gut der Amboss sein – und nicht der Hammer.



Quellenangaben:

[1] s. Mt 26, 42, in: Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart 1999.
[2] s. Tallerico, Brian: TIFF 2019: A Hidden Life, The Traitor, in: RogerEbert.com, www.rogerebert.com/festivals/tiff-2019-a-hidden-life-the-traitor, 05.09.2019.
[4] s. Dowd, A.A.: Terrence Malick returns to the past and scripted drama, but not to form, with A Hidden Life, in: A.V. Club, https://film.avclub.com/terrence-malick-returns-to-the-past-and-scripted-drama-1834888231, 20.05.2019.
[5] ebd.
[6] s. Kurz, Joachim: Ein verborgenes Leben, in: Kino-Zeit, www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ein-verborgenes-leben-2019.
[7] s. McCarthy, Todd: ‘A Hidden Life’: Film Review, in: The Hollywood Reporter, www.hollywoodreporter.com/review/a-hidden-life-review-1212083, 19.05.2019.
[8] s. Steinitz, David: Mal länger als ein paar Netflix-Minuten, in: Süddeutsche Zeitung, www.sueddeutsche.de/kultur/ein-verborgenes-leben-august-diehl-terrence-malick-1.4774739, 28.01.2020.
[9] ebd.
[10] s. Ehrlich, David: ‘A Hidden Life’ Review: Terrence Malick’s Best Movie Since ‘The Tree of Life’, in: Indiewire, www.indiewire.com/2019/05/a-hidden-life-review-terrence-malick-cannes-1202142833/, 19.05.2019.
[11] s. o.A.: Transcending Heidegger – The Cinema Of Terrence Malick, in: Like Stories of Old, www.youtube.com/watch?v=Oohg3LZd898&t=2s, 14.06.2020.
[12] s. Kurz, Internet.
[13] vgl. Ehrlich, Internet: “Malick is in dire need of the bumper lanes that a linear narrative provides”.
[14] s. Travers, Peter: ‘A Hidden Life’: Terrence Malick’s ‘Return to Form’ Still Feels Like a Miss, in: Rolling Stone, www.rollingstone.com/movies/movie-reviews/hidden-life-movie-review-terrence-malick-924963/, 10.12.2019.
[15] s. Dowd, Internet.
[16] s. Harkness, Alistair: Film reviews: Bombshell | A Hidden Life | Just Mercy | Be Natural: The Untold Story of Alice Guy-Blaché | Weathering With You, in: The Scotsman, www.scotsman.com/arts-and-culture/film-and-tv/film-reviews-bombshell-hidden-life-just-mercy-be-natural-untold-story-alice-guy-blache-weathering-you-1397098, 16.01.2020.
[17] vgl. Dowd, Internet: “these devices have lost some of their novelty and mystery and power since Malick refined them into what could be called his mature style” sowie “numerous, frankly repetitive scenes of the once-friendly townsfolk ostracizing Jägerstätter’s family”.
[18] ebd.
[19] s. Bach, Lida: Terrence Malick drenches nazi-opposer biopic „A Hidden Life“ in pious pastoral pretension, in: Cinemagicon, www.cinemagicon.com/10380/.
[20] s. Pilarczyk, Hannah: Unvergesslich. Terrence Malicks Weltkriegsdrama „A Hidden Life“, in: Spiegel Online, www.spiegel.de/kultur/kino/terrence-malick-weltkriegsdrama-a-hidden-life-in-cannes-unvergesslich-a-1268198.html, 19.05.2019: „Dann überraschte er damit, dass viele der Filme, die er in ungewöhnlich schneller Taktung folgen ließ, gar nicht mal so gut waren“.
[21] s. Ehrlich, Internet: “Malick has finally rediscovered his conviction and returned to solid ground”.
[22] s. Zacharek, Stephanie: Cannes Review: Terrence Malick Returns, Virtuously, With Pious Nazi Prison Drama A Hidden Life, in: Time, https://time.com/5591998/cannes-review-terrence-malick-hidden-life/, 20.05.2019: “I do not find his films moving and mystical; I have rarely found them even bearable”.
[23] ebd.
[24] s. Zoller Seitz, Matt: A Hidden Life in: RogerEbert.com, www.rogerebert.com/reviews/a-hidden-life-movie-review-2019, 13.12.2019: “a career summation (…) combining stylistic elements from across Malick’s nearly 50-year filmography”.
[25] s. Chang, Justin: Cannes. Terrence Malick’s ‘A Hidden Life’ is a return to form and a spiritual call to arms, in: Los Angeles Times, www.latimes.com/entertainment/movies/la-et-mn-cannes-terrence-malick-hidden-life-20190519-story.html, 19.05.2019.
[26] s. McCarthy, Internet: “just when you ache for the film to begin to go deeper, it instead starts flatlining”.
[28] s. Tallerico, Brian: TIFF 2019: A Hidden Life, The Traitor, in: RogerEbert.com, www.rogerebert.com/festivals/tiff-2019-a-hidden-life-the-traitor, 05.09.2019: Malick “has been searching for meaning and questioning faith in arguably all of his films” sowie “feels like a more spiritually confident film than his recent works”.
[29] s. Ehrlich, Internet: “cinema’s most devout searcher, his faith and uncertainty going hand-in-hand”.
[30] s. McCarthy, Internet: “desperately indulgent and puzzlingly de-theologized”.
[31] s. Tallerico, Internet.

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