Abyss of Light

Wo kommen wir her? Und wo sollen wir hin? Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Seins suchen viele Menschen in der Religion. Im Glauben an eine höhere externe Macht, die für allen Ursprung verantwortlich ist. Auch Terrence Malicks jüngere Werke wirkten oftmals christlich oder neo-christlich konnotiert, standen sowohl in The Tree of Life als auch in To the Wonder die Auseinandersetzung der Figuren mit dem christlichen Gott und seiner Religion im Fokus. In Malicks Voyage of Time nun taucht Religion zwar auch auf, allerdings nicht als Quelle des Ursprungs, sondern als Produkt. Zwar besitzt die Dokumentation durchaus eine Spiritualität, die für Susanne Ostwald „in tiefem Naturglauben und Bewunderung für die Schöpfung wurzelt, jedoch ganz aus dem Geist der Wissenschaft“ [1].

Der Film ist eine weitergedachte Variation der 17-minütigen Schöpfungs-Passage aus The Tree of Life, seiner Zeit von Douglas Trumbull konzipiert. Bereits dort fanden sich Bildmotive, die Malick für Voyage of Time – nunmehr durch Dan Glass – recycelt. Von der Entstehung der Erde und ihres Trabanten in den Anfängen unseres Solarsystems über Jupiter und Io zu im Meer schwebenden Quallen und Bildern aus dem Antelope Canyon sowie von Lake Powell in den USA. Ähnlich wie in The Tree of Life hören wir dazu bisweilen eine weibliche Stimme aus dem Off, statt Jessica Chastains Film-Mutter nun Cate Blanchett, die wiederholt eine Art kosmische „Mutter“ anspricht. Wer genau mit wem kommuniziert, ist unklar. Ob die Natur mit dem Universum oder das Leben mit der Schöpfung – zweitrangig.


“Mother. You walked with me then. In the silence. Before there was a world. Where nothing was”, flüstert eingangs Cate Blanchett, während wir eine schwarze Leinwand sehen. In gewisser Weise inszeniert Malick fortan das Leben als eine Makro-Version des Menschen in dessen existentialistischem Konflikt. Immer wieder unterbrechen Videoaufnahmen niedriger Qualität aus unserer Gesellschaft die naturalistischen Bilder. Von Bettlern und Armen, aber auch von Hochzeiten und Religionsprozessen. “Mother. Where are you?“, fragt dabei Blanchetts Stimme. Als “riddle to myself” bezeichnet sie sich und will wissen: “Am I not your child?” Es sind andere, fordernde Fragen als in den menschenarmen Szenen unseres Planeten. Doch beide adressieren scheinbar dieselbe Mutter.

Auf die Schwärze des Nichts folgt der Urknall, die Ausweitung des Universums. Wie Synapsen breitet es sich aus, wirkt stellenweise wie der Blick in ein menschliches Gehirn. Nebulae von anmutiger Schönheit vereinnahmen die Leinwand, wir sehen die Geburt des Solarsystems, im Dunkel ragen Erde und Mond heraus. Unser Planet nimmt Gestalt an, wo zuerst Magma pulsierte, bringen bald darauf die Meere Leben hervor. Einzeller. Ein Fisch, der nach Luft schnappt. Später Dinosaurier, die in einem Meteoriteneinschlag ihr Ende finden. Filmte Malick diesen in The Tree of Life noch aus dem Weltall, quasi mit göttlicher Sicht, so befinden wir uns diesmal auf der Erde selbst. Ein ewiger Kreislauf von Selbsterneuerung, in dem der Tod nie das Ende, sondern einen Anfang darstellt.


“Nature. Who am I to you?”, fragt Blanchett da. Und konstatiert: “You devour yourself. Only to give birth to yourself again.” Wie üblich für das Schaffen des texanischen Regisseurs faszinieren ihn die Fragen mehr als die Antworten. Und wie üblich stößt der Auteur damit wieder einmal seine Kritiker vor den Kopf. Das sinnierende Voice-Over ist inzwischen Malicks Markenzeichen, “the relentlessly self-interrogating style” ist sein “preferred mode of verbal expression” [2]. Doch “his manner of wide-eyed rhetorical inquiry” ist für andere wie Lodge “beginning to feel obtusely banal” [3]. Sein über Jahrzehnte zusammengetragenes Passions-Projekt verkomme zu einem “hugely disappointing swing and miss” [4] und stehe sinnbildlich für “the creative vacuum his career has been headed for lately” [5].

Unzweifelhaft ist dagegen die Kraft der Bilder, die in Voyage of Time von Paul Atkins statt wie zuletzt üblich vom Triple-Oscarpreisträger Emmanuel Lubezki stammen. Scott sieht im Ergebnis eine “extraordinary visual symphony” [6], wenn Malick Momente nachzeichne “as if he had drawn them not from his mind but from some repository of celestial memory” [7]. Abseits der Videoaufnahmen der menschlichen Gesellschaft fängt Atkins wunderschöne Landschaftsaufnahmen ein und lässt zudem mittels Glass’ Nachbau und Archivbildern von NASA und Co. von (mikro-)kosmischen Aufnahmen die Grenzen zwischen Motiven kosmischer und menschlicher Schöpfung verschwimmen. Die Flammen eines Hausbrandes gehen da dann audiovisuell kongenial in das Züngeln von Magma über.


“A tide of pure sound and image”, beschreibt Chang, “a documentary poem” [8]. Doch schöne Bilder alleine reichen vielen nicht, wenn sie für sich stehen sollen [9]. “Gorgeous but hollow”, ist das Resultat [10] für Lodge und Pulver bemängelt “it’s difficult to process what exactly we are seeing” [11]. Sehen wir die Geburt einer Galaxie oder „nur“ eine Zellteilung? Verwöhnt von auf das Verständlichste herunter gebrochenen Naturdokus liefere Voyage of Time stattdessen “general poetic speculations instead of specific information about what we’re looking at” [12]. Die Dissonanz zwischen uneindeutigen Bildern und dem fragenden Voice-Over verstört viele. Der Film verkomme somit zum „Kasten voller Postkarten“ [13] und sei “an aesthetic experience rather than a particularly informative one” [14].

Auch Joachim Kurz stieß sich am Voice-Over. „Abgesehen von einer gewissen Grundstimmung ergibt er kaum wirklich Sinn, transportiert keinerlei Kontext oder Information“, sei eher „eine Hymne an die Erde, das Leben, das Mütterliche als schöpferisches Grundprinzip“ [15]. Für Hanns-Georg Rodeck ist das Problem der Bilder „ihre philosophische Überhöhung“ sowie „die Bedeutungskonstruktion, die Behauptung eines tieferen Sinns, der sich nicht erschließt und am Rande der Selbstparodie entlang schrammt“ [16]. Ein Ausmaß an Repetition “that amounts to the thematic resonance of a fortune cookie”, ätzt Chitwood [17]. Es sei ein leichtes, den Film zu verspotten und zu parodieren, räumt Brody ein [18]. Erinnert jedoch zugleich, “but that’s true of any intensely serious work of art” [19].


Generell sind die Bilder ohnehin weniger uneindeutig als ihnen vorgeworfen wird. Zumal Malick seine Reise durch die Zeit chronologisch vornimmt und seine Faszination “with the cosmic and ephemeral dimensions of time in individual stories” auslebt [20]. Auch Cate Blanchett fragt da an einer Stelle: “Where are you leading me?” Als sei dem Leben nicht vollends klar, was die Schöpfung für es vorgesehen hat. Dass der Voice-Over eine gewissen Eigentümlichkeit besitzt, ist unbestreitbar. Und ebenfalls typisch für den texanischen Regisseur. “I am life. Restless. Unsatisfied”, erkennt der Film da. “Speak with me”, fordert er ein paar Sätze später und fragt: “What am I? Who brought me here?” Mitunter wirkt es, als handele es sich nicht nur um eine, sondern mehrere Stimmen des Lebens.

Getreu Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Es sind Fragen, die verhallen. Da unterscheidet sich Voyage of Time nicht vom wahren Leben. Für Rodeck huldigt Malick „der Natur ohne den Menschen, der Schöpfung ohne einen Schöpfer“ [21], dagegen ist Gleiberman überzeugt, der Regisseur “sees God’s touch in the glory and the strangeness of every natural surface” [22]. Die Wahrnehmung verschwimmt, zwischen Natur, Gott, Urmutter – viele Namen für ein und denselben Adressaten, wie es scheint. Wenn die Menschen als Aboriginals dann gegen Ende auftauchen, unterscheidet sie nicht allzu viel von ihren Artgenossen der Gegenwart aus den eingestreuten Videoclips. Allenfalls die Unbekümmert- und Natürlichkeit ihrer Anfänge, die seither verloren ging.


“Philosophically considered, the universe is composed of Nature and the Soul”, hieß es bei Emerson [23]. Vielleicht ist also der vokalisierte Austausch in Malicks Film weniger Dialog als Monolog. Eine losgelöste Schöpfung, nicht kontrolliert von einer Mutter, sondern Bestandteil dieser. “You give without asking”, konstatiert das Voice-Over. Und will wissen: “Does your goodness never fail?” Ein immer währender Erneuerungsprozess des Fortschritts. In welchem die Antwort auf Sinn-Fragen weniger relevant ist, als das Äußern dieser Fragen selbst. Den Film solle der Zuschauer besser als Abstraktum würdigen, realisiert auch Pulver schließlich [24]. Ist er doch weniger National-Geographic-Dokumentation als vielmehr jene Form von Essayfilm, der sich der Regisseur zuletzt widmete.

Eine Arbeitsweise, mit der er immer mehr Kritiker schafft, wurde doch bereits seine Trilogie To the Wonder, Knight of Cups und Song to Song zuletzt verlacht. “Malick seeks a beauty beyond style, outside the realm of artistic creation”, erkennt Brody [25]. “He tries to turn images into vessels for that beauty.” [26] Eine Schönheit, die zumindest Einzelne zu würdigen wissen. So sehen in Voyage of Time Kritiker wie Chang “a feast for the eyes and a balm for the soul in these angry, contentious times” [27]. Für Ostwald ist der Film daher ein „Kunstwerk von überwältigender Kraft (…) die Quintessenz von Malicks Schaffen und Denken“ [28]. Selbst wenn Malick keine Antworten auf die großen Fragen des Lebens bereithält, fühlt es sich sicherer an, die Reise mit ihm gemeinsam zu bestreiten.



Quellenangaben:

[1] vgl. Ostwald, Susanne: Den Ursprung allen Seins schauen, in: NZZ, 08.09.2016, www.nzz.ch/feuilleton/kino/73-internationales-filmfestival-venedig-den-ursprung-allen-seins-schauen-ld.115502.
[2] vgl. Chang, Justin: Terrence Malick’s “Voyage of Time“ offers a gorgeous Imax history of the universe, in: Los Angeles Times, 06.10.2016, www.latimes.com/entertainment/movies/la-et-mn-voyage-time-imax-review-20160930-snap-story.html.
[3] vgl. Lodge, Guy: Voyage of Time, Life’s Journey, in: Time Out London, 07.09.2016, www.timeout.com/london/film/voyage-of-time-lifes-journey.
[4] vgl. Chitwood, Adam: Voyage of Time, Life’s Journey Review: Terrence Malick Goes Round and Round, in: Collider, 09.09.2016, http://collider.com/voyage-of-time-lifes-journey-review/.
[5] vgl. James, Nick: Voyage of Time, Life’s Journey. First look, in: Sight & Sound, 06.04.2017, www.bfi.org.uk/news-opinion/sight-sound-magazine/comment/festivals/venice-2016/voyage-time-life-s-journey-first-look.
[6] vgl. Scott, A.O.: Voyage of Time, the Cosmology of Terrence Malick (the Short Version), in: The New York Times, 06.10.2016, www.nytimes.com/2016/10/07/movies/voyage-of-time-review.html.
[7] ebd.
[8] vgl. Chang.
[9] “Malick has provided a dazzling flow of quite astonishing images, but provided little in the way of context”, vgl. Pulver Andrew: Voyage of Time: Life's Journey review – Terrence Malick's eye-popping history of the universe, in: The Guardian, 06.09.2016, www.theguardian.com/film/2016/sep/06/voyage-of-time-review-terrence-malick-venice-film-festival-2016.
[10] vgl. Lodge.
[11] vgl. Pulver.
[12] vgl. Abrams, Simon: Voyage of Time. The IMAX Experience, in: RogerEbert.com, 08.10.2016, www.rogerebert.com/reviews/voyage-of-time-the-imax-experience-2016.
[13] vgl. Kilb, Andreas: Die Seele passt in kein Universum, in: FAZ.net, 08.09.2016, www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/filme-von-terrence-malick-und-pablo-larrain-in-venedig-14425037.html.
[14] vgl. Pulver.
[15] vgl. Kurz, Joachim: Venedig 2016: “Voyage of Time: Life’s Journey” von Terrence Malick, in: kino-zeit.de, 07.09.2016, www.kino-zeit.de/blog/venedig/venedig-2016-voyage-of-time-life-s-journey-von-terrence-malick.
[16] vgl. Rodeck, Hanns-Georg: Was macht man im KZ eigentlich mit Selfie-Sticks?, in: Die Welt, 07.09.2016, www.welt.de/kultur/kino/article157987617/Was-macht-man-im-KZ-eigentlich-mit-Selfie-Sticks.html.
[17] vgl. Chitwood.
[18] vgl. Brody, Richard: Terrence Malick’s Metaphysical Journey Into Nature, in: The New Yorker, 08.10.2016, www.newyorker.com/culture/richard-brody/terrence-malicks-metaphysical-journey-into-nature.
[19] ebd.
[20] vgl. Scott.
[21] vgl. Rodeck.
[22] vgl. Gleiberman, Owen: Terrence Malick’s ‘Voyage of Time: Life’s Journey’, Variety, 06.10.2016, http://variety.com/2016/film/reviews/voyage-of-time-review-venice-film-festival-terrence-malick-1201852631/.
[23] vgl. Emerson, Ralph Waldo: Nature (1836), in: Ders.: Nature and Other Essays, Mineola 2009, S. 1-34, hier S. 2.
[24] vgl. Pulver.
[25] vgl. Brody.
[26] ebd.
[27] vgl. Chang.
[28] vgl. Ostwald.


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