It even has a watermark


In jüngeren Jahren gab es in Film und Fernsehen eine nostalgische Rückbesinnung auf die Achtziger, am eindringlichsten veranschaulicht vermutlich in der Netflix-Serie Stranger Things. Ein ganz anderes Bild der 1980er Jahre zeichnete derweil Bret Easton Ellis in seinem Roman American Psycho. Darin persifliert er die Kultur jenes Jahrzehnts, vom Yuppietum über die Verbraucherherrschaft bis hin zum Materialismus. Sozialer Aufstieg und Geld markierten in Großstädten das Ziel der jüngeren Menschen zwischen 20 und 40. Erfolgsdruck einer ganzen Generation war die Folge, ausgedrückt in Statussymbolen personeller wie materieller Natur. Entscheidend dabei war eine gewisse Anpassungsfähigkeit an die Normen.

Eben hier tritt die Hauptfigur von American Psycho zu Tage, der 27-jährige Patrick Bateman, Vize-Präsident einer New Yorker Investmentbank, insgesamt eigentlich aber ein rassistischer und misogyner Soziopath und Serienmörder. Bateman ist scheinbar angepasst an seine Umwelt, doch jene Anpassung entpuppt sich als Maske und Deckmantel für seine perversen abscheulichen Verbrechen. Oder auch nicht. Vielleicht sind jene Verbrechen nur Ausdruck von Batemans hoffnungsloser Rebellion gegen das System. „Ein stummer Schrei nach Liebe“, wie Die Ärzte sangen. Ob die Ereignisse in American Psycho real oder fiktiv sind, ist zweitrangig, die offene Interpretation jedoch eine der großen Stärken der Handlung.

Ellis’ Roman von 1991 adaptierte Regisseurin Mary Harron neun Jahre später in American Psycho. Durch den Abstand eines Jahrzehnts setzt die 80er Nostalgie bereits ein, wenn die Hauptfigur Huey Lewis and the News oder Whitney Houston hört. Christian Bale spielt Patrick Bateman, in gewissem Sinne ein Stellvertreter unserer Kultur – wenn schon nicht der heutigen, dann zumindest der damaligen. Oberflächlich betrachtet ist er absolut austauschbar – ein Aspekt, den das Buch noch mehr als der Film betont, indem die Figuren nahe an der Identitätslosigkeit existieren. Das Erscheinungsbild und Gehabe der männlichen Figuren ist oft identisch, ihr Style dominiert von gegeltem Haar, Hosenträgern und Hornbrillen.

Im Buch geht diese Angleichung noch eine Spur weiter, wenn Bateman und sein Kollege Timothy Price derselbe Armani-Mantel schmückt oder Batemans Verlobte Evelyn wie ihre Freundin Courtney ein Krizia-Outfit mit d’Orsay-Pumps aufträgt [1]. Zum vermeintlichen Running Gag gerät daher die Tatsache, dass sich die Figuren kontinuierlich miteinander verwechseln. Insbesondere Patrick Bateman: Ein Kollege grüßt ihn auf der Arbeit mit falschem Namen, sein anderer Kollege Paul Allen (Jared Leto) hält ihn für ihren Mitarbeiter Marc Halberstram. Später begrüßt ihn der Pförtner seines Bürogebäudes mit “Mr. Smith”, während ihn sein Anwalt am Ende für “Davis” hält (“I’m Patrick Bateman (…) don’t you know?”).

Es ist jene normative Konformität, der Wunsch, nicht unangenehm aufzufallen und sich anzupassen, die zum Ende der Geschichte in die Anonymität übersteigert wird. “There is an idea of a Patrick Bateman. Some kind of abstraction. But there is no real me, only an entity, something illusory”, erklärt Christian Bale zu Beginn. “I simply am not there.” Dies kann zum einen natürlich gelesen werden als soziale Maske, hinter der sich Bateman versteckt, um seinen Wahnsinn inmitten der Gesellschaft ausleben zu können. Zum anderen ließe es sich als Hilfeschrei eines Mannes deuten, der keinen Ausweg aus dem sozio-kulturellen Treibsand seiner Zeit sieht. Ein Sog, der ihn wie auch alle anderen bereits vereinnahmt hat.

Immer die schnittigste Frisur und Outfits, die neuste Stereoanlage – in der Welt von American Psycho ist entscheidend, wie jemand wirkt. Nicht, wer er ist. Der übermäßige Narzissmus von Bateman ist nur der Anfang, mit morgendlichem Workout-Programm, Shampoos und Peelings, Maniküre und Pfefferminz-Gesichtsmasken. Hier lecken sich Bateman und Co. die Finger wund nach jenem Fisher-Account, den Paul Allen bei ihrer Firma Pierce & Pierce betreut. Und machen ein Aufhebens um das Layout ihrer jeweiligen Visitenkarten. Diese sind zugleich eines der wenigen Mittel zur Unterscheidung. „Identität scheint sich nur noch über Visitenkarten herzustellen“, so Wolfgang M. Schmitt jun. treffend [2].

Es birgt zugleich eine gewisse Ironie, dass sie alle – von Bateman über Allen und Timothy Bryce (Justin Theroux) sowie Halberstram und van Patten – in ihrer Firma Vize-Präsidenten sind. Was dem Titel jede Relevanz raubt, selbst die eines Statussymbols. Exemplarisch für dieses Gebaren steht dabei das Dorsia – ein ominöses Restaurant mit nahezu unmöglicher Möglichkeit zur Reservierung. Für Bateman und die übrigen Figuren geht es weniger darum, ob das Essen im Dorsia gut und lohnenswert ist, sondern ausschließlich darum, sich damit zu brüsten, dort gewesen zu sein. Verlassen wird sich dabei auf die Meinung anderer, dem Gastronomieführer Zagat oder aktuellen Restaurantkritiken der New York Times.

Der fehlende Individualismus ist in American Psycho omnipräsent. Die Figuren sind derart austauschbar, dass sie mehrere Affären untereinander führen. Bateman schläft mit Courtney, Evelyn (angeblich) mit Bryce, selbst Courtneys Verlobter schwärmt insgeheim für Bateman. Sie alle sind ein wenig „Bateman“: keine echten Personen, eher eine Aura. Anwesend trotz Abwesenheit – erkennbar in einer Weihnachtsfeier, die Evelyn (gespielt von Reese Witherspoon) organisiert. “You’re late”, wirft sie Bateman dort vor. “I’ve been here the whole time”, entgegnet der. “You just didn’t see me.” Was sowohl Ausrede als auch Wahrheit sein kann, jeweils entschuldigt durch ebenjene anonymisierte Konformität.

Bateman stammt eigentlich aus reichem Hause – so reich, dass ihm die Frage gestellt wird, warum er überhaupt arbeitet. “Because I want to fit in”, bringt er als Antwort seine normative Konformität zum Ausdruck [3]. Die Eingliederung ins System ist natürlich nur Vorwand für seine wahre Fassade – sei diese nun leer oder psychotisch. Was genau Bateman arbeitet, bleibt unklar. “You never see him do any work”, bestätigt Mary Harron im Audiokommentar und erklärt dies mit jener Fassade, welche er in Umgebung zu anderen aufrechterhält. Sei er allein, gerate er in Panik, so Harron. “When the mask slips (..) he doesn’t know what to do.” Auf sich allein gestellt fehlt Bateman jemand, an den er sich anpassen kann.

Ähnlich sieht es auch Ellis. “He doesn’t necessarily want to fit in but doesn’t really know what the other options are”, sagte der Autor im Interview mit dem Rolling Stone [4]. Christian Bale selbst beschrieb den Charakter gegenüber Sabotage Times als Fabrikat, “entirely constructed (…) from advertising in the 80s, and from the American concept of what it is to be a winner” [5]. Er ist ein Wall Street Zombie, die mit Ende 20 alles erreicht, aber nichts vorzuweisen haben. Die einen mondänen Lebensstil führen, aber nicht wirklich leben. Erkennbar an Courtney (Samantha Manthis), die überwiegend ihr Dasein im Drogennebel fristet, in einem entscheidenden Moment dann aber doch ihren heimlichen Kinderwunsch äußert.

“I have all the characteristics of a human being”, beschreibt Bateman eingangs. Gier und Lust seien aber im Grunde das einzige, was er verspüre. Die Figur wird voll von Widersprüchen inszeniert. Er lebt die Konformität, im Prinzip könnte “Hip to be Square” von Huey Lewis and the News die Hymne seines Lebens sein. “It’s not just about the pleasures of conformity and the importance of friends, it’s also a personal statement about the band itself”, rezensiert er im Buch wie Film. Wenn Bateman am Schluss mit Evelyn bricht und ihr zugleich die gemeinsamen Freunde überlässt, ist das also der Ausbruch aus der Konformität, der im Anschluss dann in das wahnhafte Finale mündet. Ausscheren aus dem System unerwünscht.

Bateman sehnt sich in dieser leb- und lieblosen Welt vielleicht einfach nur nach Menschlichkeit. Wenn die Figur in einer Restaurantszene in SoHo das Ende des Welthungers propagiert und die Abschaffung der Diskriminierung sowie Apartheid bei Fürsorge für die Obdachlosen plus Gleichberechtigung der Frauen, kann dies natürlich einfach nur Zynismus sein. Oder aber ein authentischer Anlass zur Revolte gegen das System, der dann durch das Gelächter von Bryce am Tisch umgehend gedämpft wird. Er wünsche sich bloß “a meaningful relationship with someone special”, erklärt Bateman später ebenfalls. Ebenjener Schrei nach Liebe wird dabei im Roman noch etwas stärker deutlich als in Harrons Film der Fall.

In Buch wie Film verabredet sich Bateman zu einem Zeitpunkt mit seiner für ihn schwärmenden Sekretärin Jean (Chloë Sevigny). Sie ist die einzige Figur, die scheinbar keine Maske trägt, sondern sie selbst ist. Was zu einer besonderen Beziehung zu Bateman führt. Als Jean im Buch – nicht im Film – diesen am Ende ihres Rendezvous umarmt, verströmt sie „eine Wärme, die mir ungewohnt ist“, heißt es da in Batemans Monolog. „Ich bin es gewohnt, mir alles, was geschieht, so vorzustellen, wie es in Filmen vorkommt.“ [6] Dieser Moment aufrichtiger Nähe überfordert ihn, der die Künstlichkeit der Popkultur und seines Umfelds gewohnt ist, derart, dass dies letztlich Jean als eine der wenigen Figuren das Leben rettet.

Die Frage, ob das Gezeigte in American Psycho für Bateman real oder eingebildet ist, beschäftigt die Zuschauer seit Veröffentlichung. Der Film reüssiert, weil er beide Interpretationen zulässt – wenn auch eher unbeabsichtigt für Mary Harron. Sie glaubt an die verübten Morde: “Clearly blood-soaked sheets” beschreibt sie im Audiokommentar zum Beispiel die Bettlaken, die Bateman zur Reinigung bringt. Das Desinteresse dieser konformen Gesellschaft fungiert als Deckmantel für Batemans Taten. Als später ein Privatdetektiv (Willem Dafoe) das Verschwinden von Paul Allen untersucht, erhält Bateman unerwartet ein Alibi für seinen Mord am Kollegen, da er (ironischer Weise von Halberstram) verwechselt wird.

Dies lässt sich wiederum ausdehnen auf jede Sichtung von Paul Allen in London, die ebenso auf einer Verwechslung beruhen kann (die Figur wird direkt in der Auftaktszene von Bateman, Bryce und Co. in einem Restaurant zum Beispiel verwechselt). Selbst wenn Bateman im Verlauf immer eindringlicher gesteht und seine Maske fallen lässt, verpufft dies. “No one listens”, lamentiert er. So wie bei einem Disco-Besuch, als sein Gegenüber “murders and executions” in “mergers and acquisitions” umdeutet oder sein Anwalt sein Geständnis für einen Scherz erachtet. Niemand interessiert die Wahrheit, auch nicht die Maklerin, die am Ende all jene Leichen entsorgt, die Bateman in Paul Allens Apartment hortet.

Interessanter erscheint jedoch die Lesart, dass die Morde nicht real, vielmehr Metaphern für jene Sozial-Satire sind, die Ellis uns hier präsentiert. Dies fängt schon damit an, dass es wenig vorstellbar scheint, dass Bateman den Großteil seiner Morde – im Roman weitaus detaillierter beschrieben – in seinem stets blütenweißen Apartment mit Holzparkett verübt. Oder eine Maklerin tatsächlich mehrere Leichen entsorgt (eine könnte ich ihr noch zugestehen) und sich damit im Falle einer Überführung oder Entdeckung mit- wenn nicht sogar für die Behörden alleinschuldig machen würde. Auch dass der Fisher Account nach Paul Allens Tod an Relevanz verliert, spricht dafür, dass Letzterer nicht tot ist.

Unterstützt wird dies von der oben beschriebenen Roman-Stelle, in der Bateman offenbart, dass er seine Wahrnehmung mit Filmerlebnissen abgleicht. “He takes lessons from videos”, erklärt Harron im Audiokommentar in Bezug auf Batemans Konsum von Pornos und Horror-Filmen, die er aus Unbeholfenheit als Anleitung verstehe. Die aber genauso Anreiz für Eskapismus sein können, wenn Bateman zuerst The Texas Chainsaw Massacre schaut, um später seinen Mord an einer Prostituierten mit der Kettensäge an das Filmende mit Leatherface anzulehnen. “Does he murder? Does he not murder? Is it more interesting to know one way or the other?”, stellt Ellis selbst im Rolling Stones-Interview in den Raum [7].

Denn an der grundsätzlichen Deutung ändert sich in beiden Fällen wenig: Patrick Bateman ist eine Figur, die sich von ihrer Umwelt entfremdet und zu verlieren droht. Unabhängig davon, ob sie insgeheim ein Serienmörder ist, den in einer desinteressierten und egozentrischen Gesellschaft keiner wahrnimmt, oder ob sie erfolglos versucht, aus dem System normativer Konformität mit einem Anflug Individualismus auszubrechen. “I feel my mask of sanity is about to slip”, sagt Bateman anfangs. Und könnte genauso gut sein Abdriften in die Soziopathie mit den Morden als Konsequenz damit meinen, wie die Fassade, die er basierend auf Werbung und Erwartungshaltung in den Achtzigern zur Anpassung errichtet hat.

“I’m playing it real straight / and yes I cut my hair / you might think I’m crazy / but I don’t even care / ’cause I can tell what’s going on / it’s hip to be square”, singen Huey Lewis and the News fast schon hypnotisierend. Wenn Bateman sagt, er spüre nur Gier und Lust, kann dies auch als Kritik am Yuppietum verstanden werden. “Something horrible is happening inside of me and I don’t know why” ist dann die Realisierung der wachsenden Nicht-Konformität, die Morde – fiktiv oder real – ein Ausdruck dessen. “Too many people / making too many problems / and not much love to go round / can’t you see this is a land of confusion”, singen Genesis für Bateman über “the problems of abusive political authority”.

Insofern repräsentiert American Psycho weniger eine Charakterstudie als eine an einen Charakter gestützte Systemkritik. Eine “first world problems”-Gesellschaft mit der größten Sorge einer fehlenden Restaurantreservierung, während die Yuppies tatsächliche Konfliktherde wie Apartheid und Welthunger verlachen. Die Welt, in der Patrick Bateman lebt, ist gänzlich künstlich, er selbst nur eine Maske. Als „netten Typen von nebenan“ bezeichnet ihn Evelyn mehrfach im Roman [8], nicht realisierend, mit wem sie es eigentlich zu tun hat. Für Bateman bleibt da nur Eskapismus, sei es in Pop-Musik, Filmen (“I have to return some videotapes”) oder des fiktiven trashigen morgendlichen Talk-Formats der Patty Winters Show.

In The Merchant of Venice verglich Shakespeare die Welt mit einer Bühne “where every man must play a part, and mine a sad one” [9]. Die Metapher der Welt als Bühne mit Menschen als Schauspielern griff er in As You Like It erneut auf: “They have their exits and their entrances” [10] – ganz so leicht macht es Bret Easton Ellis seiner Figur nicht. Der Status quo repräsentiere eben das Leben Ende des 20. Jahrhunderts und diktiere das Benehmen der Leute. „Das ist, was Patrick zu sein für mich ausmacht, denke ich“, resümiert die Figur [11]. Ein Seufzen, ein Achselzucken, ein erneutes Seufzen und die finalen Worte „KEIN AUSGANG“ [12]. Für Patrick Bateman gibt es somit kein Entkommen – mit Maske oder ohne.


Quellenangaben:

[1] vgl. Ellis, Bret Easton: American Psycho, Köln 2002, S. 20f.
[2] vgl. Schmitt jun., Wolfgang M.: Aktueller denn je: American Psycho – Kritik & Analyse, in: Filmanalyse, 25.11.2018, www.youtube.com/watch?v=8wIo161cPtY.
[3] vgl. Ellis, S. 330.
[4] vgl. Grow, Kory: ‘American Psycho’ at 25: Bret Easton Ellis on Patrick Bateman’s Legacy, in: RollingStone.com, 31.03.2016, www.rollingstone.com/movies/movie-news/american-psycho-at-25-bret-easton-ellis-on-patrick-batemans-legacy-175227/.
[5] vgl. Godfrey, Alex: Christian Bale Talks Psycho, Suicide and Blockbusters, in: SabotageTimes.com, 14.04.2015, https://sabotagetimes.com/life/christian-bale-talks-psycho-suicide-and-blockbusters.
[6] vgl. Ellis, S. 368.
[7] vgl. Grow, Internet.
[8] vgl. Ellis, S. 24, S. 33 und S. 36.
[9] vgl. Shakespeare, William: The Merchant of Venice, London 1600, Akt 1, Szene 1.
[10] vgl. Shakespeare, William: As You Like It, London 1623, Akt 2, Szene 7.
[11] vgl. Ellis, S. 549.
[12] ebd.

Szenenbilder “American Psycho” © Lionsgate Films. All Rights Reserved

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen